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Die Revolution 1848 im Spiegel der Medien

Aus: Anton Zampis „Erinnerungsbilder aus Weins October-Tagen 1848“ um 1850, Wienbibliothek im Rathaus, D-50142

von Franz J. Gangelmayer,
16. Oktober 2023

Die Revolution von 1848 kann als Meilenstein auf dem Weg Österreichs zu einem demokratischen Verfassungsstaat angesehen werden. Obwohl damals wenige Forderungen längerfristig durchgesetzt wurden, war das erste Aufflackern des Parlamentarismus ein wichtiger Wegbereiter für die friedliche und feierliche Ausrufung der Republik Österreich am 12. November 1918.

Im Jahr 1848 erhoben sich in weiten Teilen Europas Frauen und Männer, um für politische Freiheit und nationale Selbstbestimmung zu kämpfen und eine Verbesserung ihrer sozialen Lage zu erreichen. Auch Wien wurde im März 1848 vom revolutionären Feuer ergriffen, das zum Sturz des Staatskanzlers Metternich und zur Proklamation einer Verfassung führte. In weiterer Folge konnten die feudalen Strukturen durch die Aufhebung der Grunduntertänigkeit der Bauernschaft reformiert und die Pressefreiheit zumindest bis zur blutigen Niederschlagung der Revolution im Oktober 1848 garantiert werden. Damit setzte eine bis dahin nicht dagewesene Flut von gedruckten Informationsträgern wie Büchern, Zeitungen und Flugschriften ein. Allein in Wien erschienen 1848 tausende Flugblätter, welche die einzelnen Ereignisse, Forderungen und Stellungnahmen der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure dokumentieren. Es gab damals wohl kaum ein anderes Medium, das so wirkungsvoll die Massen ansprach. Die Flugblätter zeugen vom Leben und Kampf der Revolution, vermitteln ein eindrucksvolles Bild der Vorgänge und stellen daher eine unentbehrliche Quelle der Revolutionsgeschichte dar.

Der Zeitungsboom

Der Erlass der Pressefreiheit am 15. März 1848 führte zu einer explosionsartigen Zunahme der Publikationstätigkeit in Wien. Zu den zehn Zeitungen des Vormärz kamen von März bis Oktober fast 200 Neugründungen hinzu, die meist jedoch nur kurz oder unregelmäßig erschienen. Einige Blätter erreichten eine relativ lange Lebensdauer sowie eine hohe Auflage und beschäftigten in ihren Redaktionen führende geistige Persönlichkeiten, die das Ideengut der verschiedenen politischen Strömungen formulierten und wesentlich zu dessen Verbreitung beitrugen.

Dabei führten die radikalen und kaisertreuen Druckerzeugnisse einen regelrechten Zeitungskrieg mit beißender und überzogener gegenseitiger Polemik und Kritik. Noch war sich die Journalistik ihrer erzieherischen und politischen Aufgabe nicht bewusst. Einen Wandel versprach die am 1. April 1848 erstmals erschienene „Allgemeine Oesterreichische Zeitung“ mit rund 4.000 Abonnenten, „welche allen Bewegungen unserer ereignisreichen Zeit Rechnung trägt ohne sich weder in Kirchthuminteressen zu verlieren, noch sich in kosmopolitischen Träumereien zu wiegen“. Dabei verfolgte die Zeitung demokratisch-sozialistische Ziele und setzte sich für die Besserung der materiellen Lage und sozialen Gleichstellung der Arbeiterschaft ein. Im Spektrum des konservativ-liberalen Lagers siedelte sich ab Juli „Die Presse“ an – das Vorläuferblatt der heutigen Zeitung gleichen Namens und die einzige 1848er-Gründung, die bis heute noch erscheint. Sie setzte Maßstäbe in der Produktion und dem Vertrieb der Zeitung sowie der optimalen Ausnützung des Inseratengeschäfts. „Die Presse“ war die erste Zeitung in Wien, die eine eigene Schnellpresse besaß und mit sensationell günstigen Abonnementbedingungen samt Hauszustellung und einer seriös-konservativen Aufmachung warb. Dies brachte ihr seitens der radikalrepublikanischen Presse den Vorwurf einer reaktionären Färbung und der geheimen Finanzierung durch die Regierung ein, wovor das Flugblatt „Hütet euch! Kauft ja nicht das Tageblatt Die Presse“ warnte.


Die öffentlich angeschlagene Verfassungsurkunde präsentiert die Einlösung des am 15. März gegebenen kaiserlichen Versprechens. Rb-1865, Wienbibliothek im Rathaus

Dominierten während der Zeit von März bis Juli die radikalen, demokratischen, liberalen oder deutschnationalen Organe und orientierten sich selbst traditionelle Blätter wie die „Theaterzeitung“ oder die „Wiener Zeitung“ – sie erschien am 29. Mai erstmals ohne Doppeladler und „k. k.“ – an diesem Trend, so treten ab August die Sprachrohre der Reaktion, wie beispielsweise „Die Geissel“, wieder stärker in den Vordergrund. Während der Belagerung Wiens im Oktober stellten die meisten Zeitungen ihr Erscheinen ein und nur konservative Blätter erfuhren im November eine Wiederaufnahme. Radikale Journalisten wurden von der Militärregierung verfolgt.

Das Geschäft mit der Revolution

Finanzielle Gewinner der Revolution waren mit Sicherheit die Druckereien und Papiererzeuger, denn nie zuvor wurden so viele Druckerzeugnisse in so kurzer Zeit in Wien produziert. Dabei stießen die Wiener Druckereien bald an ihre Produktionsgrenzen und suchten über Annoncen dringend Setzer- und Druckereipersonal. Aber auch die Papiermühlen klagten über Rohstoffmangel, da sich „die Publizistik, und somit auch der Bedarf an Lumpen von Tag zu Tag steigert. Die Industrie und somit die Fabrikation der Lumpen wird immer matter. Wenn das so fortgeht, wird die Presse am Ende kein Papier mehr haben“ (Die Presse vom 5. Oktober 1848, S. 1.). Um dies zu vermeiden, zogen immer mehr Lumpensammler*innen durch die Stadt und verdienten sich einige Kreuzer. Dadurch war die Erscheinung der unzähligen Flugblätter, Zeitungen, Einladungen, Formulare und sonstigen Druckwerke gesichert, welche bis heute wertvolle Zeugnisse für die Rekonstruktion der sich überstürzenden Ereignisse des Jahres 1848 sind.

Vertrieben wurden die Flugblätter entweder über Ladenverkauf in Buchhandlungen oder durch Kolporteur*innen, die ihren Stand auf der Straße aufbauten oder mit einem Karren oder einer Kiste umherzogen. Damit hatten sie die Möglichkeit immer in der unmittelbaren Nähe des aktuellen Geschehens zu sein. Joseph Cajetans „Satyrisches Bild“ zeigt, wie dieser Handel mit Zeitungen und Ereignisbildern organisiert war: Im Zentrum steht dabei der mit schwarz-rot-goldenen Fahnen geschmückte fahrbare Verkaufsstand, der von drei Flugblattverkäufern umringt wird.

Die „Tages-Litteratur“ nach einer Zeichnung von Cajetan (Pseudonym für Dr. Anton Elfinger, lithographiert von A. Geiger), Bildbeilage „Satyrisches Bild Nr. 104“ in Adolf Bäuerles Theater-Zeitung.F-15213/1848, Wienbibliothek im Rathaus


Der Wegfall des Kolportageverbots bot nämlich Männern, Frauen und auch Kindern aus den unteren Schichten, die vermutlich häufig selbst Analphabeten waren, eine neue Möglichkeit sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Zudem begünstigte die Legalisierung des Straßenverkaufs die wirtschaftliche Trennung von Presse und Buchhandel. Während noch im Vormärz das Abonnement die wirtschaftliche Hauptstütze eines jeden Blattes bildete, wurde nun der tägliche Absatz im freien Straßenverkauf für die Gebarung der Zeitungen entscheidend. Zudem eröffnete sich mit dem inoffiziellen Fall des Inseratenmonopols der „Wiener Zeitung“ für alle anderen Blätter eine neue Einnahmequelle, die zu dieser Zeit aber noch nicht von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung war.

Welche Einnahmen mit einer Zeitungsausgabe damals zu erzielen waren, zeigt die Offenlegung der Tageszeitung „Die Presse“ am 14. Juli 1848 bei einem Verkaufspreis von einem Kreuzer und einer Auflage von 15.000 Exemplaren: Einnahmen: 250 Gulden, Ausgaben: 179 Gulden (Satz: 22, Papier: 70, Druck: 37, Vertrieb: 50). Demnach blieben für die Redaktion, Abonnements fremder Journale, Miete, etc. rund 71 Gulden übrig, was zu dieser Zeit zirka dem Monatslohn eines Buchdruckergehilfen entsprach.

Die Revolutionaria-Sammlung in der Wienbibliothek im Rathaus

Die Wienbibliothek im Rathaus verwahrt eine umfangreiche Flugblattsammlung zur Wiener Revolutionsgeschichte, die sich aus über 5.000 verschiedenen Flugschriften zusammensetzt. Diese Amtsdruckschriften, kaiserlichen Patente, Revolutionslieder, Pamphlete, agitatorischen Schriften und Abbildungen sind mittlerweile digitalisiert und in der Wienbibliothek Digital recherchier- und einsehbar. Die Inhalte der Sammlung stammen überwiegend von Ludwig August Frankl. Frankl wurde 1810 in Chrast (Tschechien) geboren, studierte in Padua und Wien Medizin und trat danach die Stelle des Sekretärs und Archivars der Wiener Kultusgemeinde an. In dieser Zeit wandte sich Frankl dem Journalismus zu und gründete 1842 die belletristische Wochenzeitung „Wiener Sonntagsblätter“.

 

 

 

Ludwig August Frankl. HIN-231169, Wienbibliothek im Rathaus


Im Revolutionsjahr stand Frankl auf der Seite der demokratischen Revolutionäre, reihte sich in die Akademische Legion ein und diente als Leutnant bei der neunten Kompagnie des Medizinerkorps. Während seines ersten Wachdienstes in der Nacht zum 14. März setzte er mit seinem Gedicht „Die Universität“ den Studenten, die eine entscheidende Rolle in der revolutionären Bewegung eingenommen hatten, ein literarisches Denkmal. Als „erstes censurfreies Flugblatt“ wurde dieses zu mehreren Tausend Exemplaren gedruckt, von 27 verschiedenen Komponisten in Musik gesetzt und avancierte zu einer Art Marseillaise der österreichischen Revolution.

Die Universität von Ludwig August Frankl. Ra-1201, Wienbibliothek im Rathaus


Frankl nutzte geschickt seine neu erlangte Popularität, um unter anderem auch seine Sonntagsblätter zu bewerben. Dafür begann er am 19. März mit einer neuen Zählung dieser Blätter und erklärte damit die vorangegangenen 322 Nummern „für null und nichtig“, ohne dass es zu einer Änderung der Aufmachung oder inhaltlichen Ausrichtung der Zeitung gekommen wäre. Als Ergänzung gründete er zwei Wochen später die täglich erscheinende „Wiener Abendzeitung“, die jedoch nicht mit dem Erfolg der Sonntagsblätter mithalten konnte. Frankl war zudem Mitglied der Deputation, die im März 1848 vom Kaiser die Gleichstellung der Jüdinnen und Juden forderte, und wurde später zum Vorstand der Kultusgemeinde gewählt. Er zählt zu den herausragenden Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens und war Initiator zahlreicher künstlerischer und karitativer Unternehmungen (u. a. des Blindenheims) des 19. Jahrhunderts.

Nach seinem Tod im Jahre 1894 gelangte sein Nachlass in die Wienbibliothek im Rathaus und bildet seitdem den Grundstock der Revolutionaria-Sammlung. Diese erfuhr durch Einarbeitung weiterer Flugblattbestände (u. a. vom Kaffeehausbesitzer Josef Nikola, den beiden Bibliophilen Friedrich Speiser und Walter Sturminger sowie der Historikerin Brigitte Hamann) wertvolle Ergänzungen.

Weiterführende Informationen

Noch bis 31. Oktober 2023 ist im Foyer der Wienbibliothek im Rathaus die Ausstellung „Revolution 1848. Im Spiegel der Medien“ bei freiem Eintritt zu sehen. Entlang der umfangreichen Flugblattsammlung werden verschiedene Aspekte des Revolutionsjahres 1848 illustriert und besonders die Herstellung und der Vertrieb der Druckerzeugnisse beleuchtet.

Bei der Wiener Vorlesung „Wir hätten ja gern die ganze Welt beglückt …“ – Zur Wiener Revolution 1848 am 9. Oktober 2023 – nachzusehen hier – diskutierten Gabriella Hauch und Wolfgang Häusler über die Widersprüchlichkeiten der Parolen „Freiheit“ und „Gleichheit“ angesichts der offensichtlichen Differenzen entlang verschiedener sozialer Schichten/Klassen, Nationalitäten/Ethnizitäten und Geschlechtergrenzen.

Link in die Wienbibliothek Digital

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