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Maskenball und Ständestaat – Der Wiener Film Maskerade

Filmplakat für Maskerade, 1934. P-42240, Wienbibliothek im Rathaus

von Michael Burger,
30. November 2023

Vielleicht war es das verschmitzte Lächeln, mit dem die Vorleserin Leopoldine Dur (Paula Wessely) das Herz des Malers und Frauenhelden Paul Heideneck (Adolf Wohlbrück) erobert hat. Jenes Lächeln ist auch überlebensgroß und prominent auf dem Plakat zum Film Maskerade abgebildet, mit dem Paula Wessely ihren Einstand als Filmschauspielerin gab und der heute als ästhetischer wie kommerzieller Höhepunkt des sogenannten Wiener Films bewertet wird.

Maske und Muff: Die Verwirrung um eine Zeichnung

Von der eigentlichen Handlung der Verwechslungskomödie gibt das Plakat wenig preis, wenngleich es auf eine zentrale Szene des Films anspielt: Die beiden Hauptdarsteller*innen sind in jenen Kostümen dargestellt, in denen sie ihren ersten Kuss erleben und damit ihre gegenseitige Liebe besiegeln. Zuvor treibt der Film ein für das Genre klassisches Verwirrspiel: Heideneck fertigt eine Zeichnung einer verheirateten Dame an, die nur eine Maske und einen Muff trägt, letzteren von ihrer Schwägerin in spe ausgeborgt. Zum Schutz aller Beteiligten erfindet der Maler mit Blick auf eine Partitur den Namen „Dur“ – unwissend, dass die Vorleserin einer bekannten Fürstin den Nachnamen Dur trägt.

Der Filmtitel Maskerade ist hierbei wörtlich und metaphorisch zu interpretieren: Einerseits spielt die Handlung zur Faschingszeit inklusive pompösem Maskenball, andererseits kommt es immer wieder zu Verwechslungen der handelnden Personen untereinander. Darüber hinaus tituliert Heideneck seine Zeichnung mit „Maskerade“ – ein Bildnis, über das im Film alle sprechen, welches aber nie zu sehen ist.

Zurück in die Vergangenheit und viel Walzer: Ein Wiener Film zur Zeit des Ständestaates

Während sich der blutige Konflikt zwischen Heimwehr, Polizei, Gendarmarie und Militär auf der einen Seite und der sozialdemokratischen Arbeiterschaft auf der anderen Seite mehr und mehr zuspitzte, saßen Regisseur Willi Forst und Drehbuchautor Walter Reisch im Wiener Luxushotel Krantz-Ambassador am Skript zu Maskerade. Da bereits in seinem Regie-Erstlingswerk Leise flehen meine Lieder, ein sentimentaler Schubert-Film, der Rückgriff auf die Vergangenheit in Verbindung mit Musik zu einem Publikumserfolg wurde, griff Forst auch jetzt wieder auf reale Vorbilder zurück.

Ankündigung des Films in der Illustrierten „Mein Film“,
1934. B-81651/Nr. 457, Wienbibliothek im Rathaus


So schrieb die Zeitschrift Mein Film: „Das Buch von Walter Reisch behandelt eine wahre Begebenheit, die damals [d.i. die Jahre 1903 bis 1907] im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stand, ist also eine Schlüsselgeschichte, deren handelnde Personen die meisten der Zuschauer erkennen werden.“ (Nr. 425, S. 10) Die Forschung konnte in den porträtierten Personen das Ehepaar Alma Mahler-Werfel und Gustav Mahler sowie das Liebespaar Arthur Schnitzler und Adele Sandrock ausmachen. Auch für den Maler Heideneck gibt es mit Ferdinand von Reznicek ein reales Vorbild. Einzig die Hauptfigur der Leopoldine Dur ist historisch nicht verbürgt.

Foto aus „Mein Film“, 1934. B-81651/Nr. 430, Wienbibliothek im Rathaus


Der Film ist somit in einem aristokratischen Milieu angesiedelt und thematisiert „das Wien des beginnenden XX. Jahrhunderts, wie es in der Erinnerung vieler noch lebt“ (Österreichische Film-Zeitung, 29. September 1934, S. 5). Dadurch fügte sich Maskerade nahtlos in das antimodernistische kulturpolitische Klima des Austrofaschismus ein: Über den Bezug auf die glorreiche Zeit der Habsburgermonarchie, versinnbildlicht in den Prunkbauten der damaligen Reichs- und Residenzstadt Wien, in Kombination mit klassischer Opern- und Operettenmusik soll die Konstitution einer österreichischen Identität in zeitgleicher Abgrenzung zum nationalsozialistisch geprägten Deutschland vorangetrieben werden. So sah Emanuel Häußler im Neuen Wiener Tagblatt vom 28. September 1934 in Maskerade die Entführung „in die Realität eines Gestern, das uns noch so nahe liegt, als wäre über dieser schöneren Welt nicht der blutrote Vorhang des Krieges und seiner Nachwehen niedergegangen.“

Am 20. Februar 1934, kurz nach Ende der Februarkämpfe, begannen bereits die Dreharbeiten in den Rosenhügel-Ateliers, in denen unter anderem die Sofiensäle nachgebaut wurden. Forst machte aus den typischen Ingredienzen einen klassischen Wiener Film, der noch heute als Prototyp und Meilenstein dieses Genres gilt: Die Handlung spielt zur Zeit der ku.k.-Monarchie in Wien, die Schauspieler*innen sprechen in Lokalkolorit und mit viel Wiener Schmäh, die Szenerie und die Kostüme sind opulent gestaltet, begleitet von den Wiener Philharmonikern wird viel Walzer getanzt, weshalb auch die Musik einen wesentlichen Teil des filmischen Geschehens in Beschlag nimmt.

Filmstills aus Maskerade.
Kostüme des österreichischen Films, 1993. A-218911, Wienbibliothek im Rathaus


Premierenabend und Patriotismus: „Der Tag des österreichischen Films“

Die Uraufführung des Films fand am 21. August 1934 im Berliner Gloria-Palast statt, die Österreich-Premiere am 26. September im Apollo-Kino. Obgleich der Mord an Bundeskanzler Engelbert Dollfuß wenige Wochen zurücklag, fand die Galapremiere trotz Staatstrauer statt, da in den Vorankündigungen Maskerade breitenwirksam als „österreichischer Stoff“ beworben wurde. Der Abend wurde somit auch zu einer Feier des noch jungen Ständestaates stilisiert, wie Die Stunde vom 28. September 1934 festhält:

„Die Premiere von ‚Maskerade‘ war der Tag des österreichischen Films. […] Punkt ¼10 Uhr erklingt die Bundeshymne: das Haus erhebt sich, um Minister Fey zu begrüßen. Nach der Wochenschau noch einmal die Bundeshymne: Bundeskanzler Schuschnigg ist in Begleitung seiner Gemahlin gekommen, um dieses repräsentative Werk österreichischer Filmkunst zu sehen. Die Logen waren von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wiener Gesellschaft besetzt: So sah man Bürgermeister Schmitz, Vizebürgermeister Lahr, Handelskammerpräsident Streeruwitz und natürlich eine Reihe von Bühnenleitern, die ja für dieses Ereignis besonderes Interesse haben mußten. […] Zum Schluß wollte der Beifall kaum ein Ende nehmen.“

Der mit Lobeshymnen überschwemmte Film wurde auch außerhalb Österreichs zu einem großen Erfolg. In Deutschland, wo die Mitwirkung jüdischer Filmschaffender verschwiegen bzw. unterschlagen wurde, zählte Maskerade fünf Wochen nach seiner Uraufführung bereits über 100.000 Besucher*innen. Der Film wurde nach Prag, Budapest, Kopenhagen, London, Paris und Brüssel exportiert; Metro Goldwyn Mayer brachte 1935 ein US-amerikanisches Remake Escapade mit Luise Rainer in der weiblichen Hauptrolle in die Kinos. Bei der II. Internationalen Filmkunstausstellung in Venedig gewann der Film den Preis für das beste Drehbuch.

v.l.n.r.: Paula Wessely, Kurt Schuschnigg, Emil Fey, Herma Schuschnigg, Willy Forst, Die Stunde vom 28.9.1934. F-70328, Wienbibliothek im Rathaus


Plakate sammeln und Stadtgeschichte vermitteln: Das Gedächtnis der Stadt

Das Filmplakat zu Maskerade veranschaulicht die vielfältigen Aufgabengebiete der Wienbibliothek im Rathaus. Was es heißt, seit 100 Jahren Plakate zu sammeln, hat Julia König gemeinsam mit Bernhard Hachleitner in einer hauseigenen Publikation „Das Plakat in der Stadt“ herausgearbeitet. Wer mehr über den politischen Kontext und das gesellschaftliche Klima, in dem der Film produziert und aufgeführt wurde, erfahren möchte, wird in der derzeit laufenden Ausstellung „Die Zerstörung der Demokratie“, zu der auch ein gleichnamiger Begleitband erschienen ist, fündig.

Quellen

  • Francesco Bono: Willi Forst. Ein filmkritisches Porträt. München: Edition Film + Kritik 2010.
  • Elisabeth Büttner/Christian Dewald: Das tägliche Brennen. Die Geschichte des österreichischen Films von den Anfängen bis 1945. Salzburg/Wien: Residenz 2002.
  • Walter Fritz: Im Kino erlebe ich die Welt. 100 Jahre Kino und Film in Österreich. Wien: Christian Brandstätter 1997.
  • Walter Fritz: Kino in Österreich 1929-1945. Der Tonfilm. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1991.
  • Armin Loacker: >>Viel zu gut für die Baggage, die ins Kino geht.<< Paula Wesselys Filmkarriere im Spiegel ihrer Zeit. In: Im Wechselspiel. Paula Wessely und der Film. Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2007, S. 35-221.
  • Georg Markus: Die Hörbigers. Biografie einer Familie. Wien: Amalthea Signum 2006.
  • Verena Moritz/Karin Moser/Hannes Leidinger: Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918-1938. Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2008.

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