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Eine Bibel für Felix Salten

von Reinhard Buchberger,
15. Jänner 2024

Ein wahrer Gigant von einem Buch: über 1.500 Seiten im Folio-Format, zwischen schweren, schweinslederbezogenen Holzdeckeln, geschmückt mit Messingbuckeln und zusammengehalten von soliden Lederriemen mit Metallschließen, der Einband im Stil der Renaissance mit Rollstempeln verziert - dass das ein Buch für den liturgischen Gebrauch oder eine Bibel sein muss, ist klar, bevor man es noch aufgeschlagen hat. Und tatsächlich haben wir es mit einer Lutherbibel zu tun, gedruckt im Nürnberger Großverlag Endter, der den gesamten süddeutschen Raum – egal ob protestantischer oder katholischer Konfession - mit seinen oft reich ausgestatteten Buchprodukten und Landkarten belieferte. Das Erscheinungsjahr 1765 macht das Buch sogar jünger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag; doch der Reformations-Look ist bei einem Wälzer wie diesem natürlich Programm. Der noch leicht vernehmbare Geruch von Weihrauch – für eine protestantische Bibel vielleicht ungewöhnlich – lässt einen unwillkürlich an das Zeitalter vor dem großen Wandel der Aufklärung denken.

Mit vielen guten Wünschen

Was die vorliegende Bibel aber von allen anderen abhebt, sind der Stempel und eine ganz spezielle, vierzeilige Widmung auf dem Vorsatzblatt: „Zum 6.ten September 1909. / mit vielen guten Wünschen / Sami und Hedwig Fischer. / München im August 09“ (siehe Abbildung). Der Stempel darunter verrät, wem das Verlegerehepaar Hedwig und Samuel Fischer (1859-1934) zum 40. Geburtstag gratulierte: Felix Salten (1869-1945), Wiener Schriftsteller ungarisch-jüdischer Herkunft, der vor allem durch seinen von Walt Disney verfilmten Roman „Bambi“ sowie durch die Zuschreibung des pornografischen Romans „Josefine Mutzenbacher“, der allerdings vermutlich nicht von ihm stammt, Bekanntheit erlangte.


In der Zwischenkriegszeit, als er schon nicht mehr bei S. Fischer erschien, avancierte Salten zu einem der gefragtesten Autoren Wiens. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich 1938 musste er dann - wie so viele seiner Generation – den Weg ins Exil antreten, nach Zürich, wo er im Herbst 1945 verstarb.

Gemeinsame Urlaube

Wie kam es nun aber zum Geschenk dieses außergewöhnlichen Buches? Salten gehörte seit 1902 in die Reihe der Autorinnen und Autoren des Verlags S. Fischer, der zu jener Zeit eine der ersten Adressen für zeitgenössische Literatur im deutschen Sprachraum war. In den Folgejahren freundete sich der Autor auch persönlich mit seinem (ebenfalls jüdischen) Verleger an; die Familie Salten besuchte die Fischers in Berlin, die Ehefrauen und die noch minderjährigen Kinder verstanden einander ebenfalls prächtig. Von 1908 bis 1912 verbrachte man zusammen den Sommerurlaub, in besagtem Jahr 1909 etwa ging es nach Südtirol. Hier muss es - irgendwann zwischen Kaffee, Sonnenbad und Nachmittagsspaziergang – zu einem Gespräch gekommen sein, das Samuel Fischer auf die Idee brachte, Felix Salten zum runden Geburtstag eine Bibel zu schenken. Aber was war der Anlass dazu? Saltens Beschäftigung mit seiner eigenen jüdischen Identität oder seine Begeisterung für den noch jungen Zionismus, die gerade in jenen Jahren in ihm keimten und erste publizistische Früchte trieben? Salten schien sich in jenen Jahren generell verstärkt mit der Bibel beschäftigt zu haben, wie einige Ausgaben der Heiligen Schrift in seiner Bibliothek, die sich zusammen mit seinem Nachlass seit 2018 in der Wienbibliothek im Rathaus befindet, belegen. Eine (ebenfalls protestantische) Bibel aus dem Jahr 1894 etwa weist einen derart zerfledderten Einband auf, dass man von einer starken Benützung ausgehen muss. War das Geschenk der Fischers – abgesehen von seinem überaus repräsentativen Charakter – somit auch als Anspielung oder gar als kleine Spitze gegen Saltens Verständnis vom Judentum gedacht?


Mit der Bibel ins Exil

Wie auch immer, Salten reihte das Buch als besondere Zimelie in seine Büchersammlung ein, und zwar mit der Inventarnummer „4064“ im Schrank „A.Z.“, in seinem Arbeitszimmer also, wie uns sein charakteristischer Exlibris-Stempel direkt unter der Widmung verrät (siehe Abbildung). Nach dem Anschluss 1938 stellte sich dann auch für Salten die Frage, was aus seiner Wiener Bibliothek werden sollte. Es gelang ihm, den größten Teil der Bücher ins Exil mitzunehmen, einige musste er aber wohl in Wien zurücklassen. Unsere Bibel scheint indes das einzige Objekt in seiner Bibliothek gewesen zu sein, das wertvoll genug war, um einer Ausfuhrgenehmigung durch das Denkmalamt zu bedürfen.

In dem „Ansuchen um Ausfuhrbewilligung“, dem die (nunmehr nationalsozialistische) „Zentralstelle für Denkmalschutz“ am 14. Jänner 1939 stattgab, wird sie neben zahlreichen anderen Kunstgegenständen erwähnt: „1 Bibel“. Dass es sich dabei um „unsere“ Lutherbibel aus dem Jahr 1765 handeln muss, zeigt ein Stempel der „Zentralstelle für Denkmalschutz“ (siehe Abbildung), der noch heute auf dem vorderen Spiegel des Bandes selbst zu finden ist. Ihr weiterer Weg lässt sich dann nur mehr unvollständig nachvollziehen. Letztlich gelangte das Buch jedenfalls nach Israel, von wo es schließlich 2023 als Schenkung von Rafi und Judith Siano (Haifa) an die Wienbibliothek im Rathaus gelangte und nun wieder mit den übrigen Büchern aus der Bibliothek Felix Saltens vereint ist.


Literaturhinweis

Link in den Katalog

Link in das Wien Geschichte Wiki

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