Sie sind hier
„Der Neusiedler-See als Adria-Ersatz“
Die Erschließung des Sees für das Wiener Publikum
von Theresa Steinwendtner,
13. August 2024
Es ist ein wiederkehrendes Thema in der Tourismus-Werbung der 1920er Jahre: Die Großstädter*innen sollen aus der grauen Stadt in die frische und wohltuende Natur ihrer Umgebung gelockt werden. Sei es auf die Höhen der Rax – des „Wiener Hausberges“ – oder in die burgenländische Ebene zum „Meer der Wiener“, dem Neusiedler See.
„Das Meer der Wiener“ – so lautete auch der Untertitel einer 1927 im Kaufhaus Gerngroß gezeigten Ausstellung über den Neusiedler See, deren Plakat sich in der Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus befindet. Die Hintergründe dieser Veranstaltung und ein genauer Blick auf das Plakat geben Aufschluss über die Anfangsjahre des heute noch beliebten Wiener Ausflugszieles.
Bewerbung des Burgenlandes in Wiener Kaufhäusern
1927 veranstaltete das junge Bundesland Burgenland eine Ausstellung im Wiener Kaufhaus Gerngroß mit dem Titel “Der Neusiedlersee. Das Meer der Wiener“. Es war nicht die erste Werbeschau dieser Art in der Bundeshauptstadt: Bereits 1926 wurde im Modewarenhaus Herzmansky in Wien zur Ausstellung „Das Burgenland im Bilde“ geladen. In der Gerngroß-Schau ein Jahr danach waren Gemälde mit Szenen aus dem Burgenland, Dioramen mit Ortschaften entlang des Neusiedler Sees, Karten sowie Vogelexponate aus der Region zu sehen.
Einblick in die Ausstellung, in: Die Stunde, 1. Juni 1927, S. 6 [2]
Ziel der Ausstellungen war es „den Wienern […] ein Land zu erschließen, das, was den Fremdenverkehr betreffe, vielfach noch ein Neuland sei…“.[3] Neben dem Ziel, den Tourismus des Burgenlandes - seit 1921 österreichisches Bundesland - anzukurbeln, schwingt bei diesen Ausstellungen auch eine politische Dimension mit. So hieß es in der Eröffnungsrede der Werbeschau: „[J]e mehr Österreicher und Wiener ins Land kommen, desto fester werde das Band werden, das Altösterreich und Burgenland verbinde, jenes Burgenland, das stolz darauf sei, ein österreichisches Bundesland zu sein.“[4]
Ein „Meer“ zwischen Schilf und Bergen
Das Sujet des Ausstellungsplakates stammt vom österreichisch-ungarischen Maler Eduard Adrian-Dussek, dem das Burgenland oft als Inspirationsquelle für seine Kunst diente. Es zeigt eine Frau in typischer zeitgenössischer Bademode auf einem Steg stehend, umgeben von Wasser und Schilfrohr. Sie winkt mit einem Taschentuch drei vorbeiziehenden Segelbooten.
Der Steg, das Schilfrohr, die Vögel und die Segelboote sind (auch heute noch) Charakteristika des Neusiedler Sees. Was allerdings verwundert, ist der Hintergrund: am Horizont des „Meeres der Wiener“ ist ein schneebedeckter Gipfel zu sehen. Es ist der Schneeberg des angrenzenden niederösterreichischen Bundeslandes, der nur an wenigen Tagen des Jahres vom Neusiedler See aus zu sehen ist. Adrian-Dussek knüpft in seiner Darstellung die pannonische Landschaft an das alpine Österreich an, das in Sehweite liegt. Der landschaftliche Kontrast des Burgenlandes zum „typischen“ Bild Österreichs als Alpenrepublik wird auch im zeitgenössischen Diskurs thematisiert. Dabei wird die Region mit ihrem „weiche[n] Auf und Ab der Hügelwelt“[5] und ihren „weitausgedehnten Felder[n]“[6] als kostbare Ergänzung gesehen.
Darüber hinaus wurde dem Neusiedler See auch eine Ersatzfunktion zugeschrieben. So heißt es einleitend in einem Artikel zur Gerngroß-Ausstellung: „Durch die Friedensverträge wurde Oesterreich vom Meer gänzlich abgeschnitten, es blieben uns nur die Seen der Alpenländer. Da wurde das Burgenland an Oesterreich angegliedert und damit kam der drittgrößte See Europas, der Neusiedler-See, in seinem großen Teil in den Besitz unseres Vaterlandes.“[7]
„Schon gehen zwei Autobuslinien vom Karlsplatz unmittelbar an den Neusiedler See…“[8]
Mit der touristischen Erschließung des Neusiedler Sees war neben der Eröffnung von Strandbädern und Restaurants auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs von der Bundeshauptstadt verbunden. Direkte Busverbindungen vom Karlsplatz und schnelle Bahnverbindungen vom Ostbahnhof aus sollten es dem Wiener Publikum möglichst einfach machen, den neuen Badeort zu besuchen.
Der Slogan „Das Meer der Wiener“ lockte mit dem Angebot, in einem Tagesausflug die Großstadt hinter sich lassen und gegen eine kostengünstige Sommerfrische eintauschen zu können: „Wie viele licht-und lufthungrige Organismen birgt die nahe Großstadt Wien nicht in sich, wie viele sind unter diesen, die sich eine kostspielige Fahrt an den Strand eines Meeres leisten können? Hier, vor den Toren Wiens, ist alles reichlich vorhanden, was dem blutarmen, in seiner Gesundheit geschwächten Großstädter nottut.“[9]
Quellen und weiterführende Literatur
- Sándor Békési, Verklärt und verachtet. Wahrnehmungsgeschichte einer Landschaft: Der Neusiedler See, Frankfurt am Main [u.a.] 2007.
- Viktor Jovanovic, Eisenstadt und der Neusiedlersee, Wien/Leipzig, [1925].
Weiterlesen im Wien Geschichte Wiki
Referenzen
[1] Titel des Blogbeitrags: Titel der Ausstellungsbesprechung in: Neuigkeits-Welt-Blatt, 8.6.1927, S. 6. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwb&datum=19270608&seite=6
[2] Die Stunde, 1. Juni 1927, S. 6. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=std&datum=19270601&seite=6&zoom=33
[3] Der freie Burgenländer, 24.10.1926, S. 4. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fbu&datum=19261024&seite=4
[4] Ibid., S. 3-4. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fbu&datum=19261024&seite=3
[5] Jovanovic [1925], S. 10.
[6] Ibid.
[7] Neuigkeits-Welt-Blatt, 8.6.1927, S. 6. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwb&datum=19270608&seite=6
[8] Neues Wiener Journal, 25.5.1927, S. 6. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwj&datum=19270525&seite=6
[9] Jovanovic [1925], S. 79-80.
Archiv
- Undurchdringliches Dunkel – Was die Familienfotos des Satirikers Karl Kraus (nicht) erzählen
- Gegen Waffen und Grenzen. Josef Drachs Friedensprojekt in der Zwischenkriegszeit
- „Der ganz große Humbug“ – Karl Kraus über Max Reinhardts Film A Midsummer Night’s Dream
- Das Watschenkonzert von 1913 in Wien
- Ein Ruf nach neuen Menschen: Leopold Jacobson
- Eine Bibel für Felix Salten
- Blogbeiträge 2023