Peter Marginter, Doderer und das Pyjama-Problem
Eine Neuerwerbung
von Gerhard Hubmann
7. Jänner 2025
Am 26. Oktober 2024 wäre der Schriftsteller Peter Marginter 90 Jahre alt geworden. Kurz nach diesem Gedenktag konnte die Wienbibliothek im Rathaus einige hochkarätige Objekte aus seinem Nachlass erwerben, die unseren bisherigen Marginter-Bestand an bedeutenden Stellen ergänzen. Die Sammlung enthält etwa einen Brief von Elias Canetti, in dem es um die chinesische Übersetzung des Romans „Die Blendung“ geht; Hilde Spiel, von der acht Briefe neu hinzugekommen sind, berichtet von „Gehässigkeit, unbegründeten Anwürfen, Intrigen und Querschüssen“, denen sie angesichts der Vorstandswahl des österreichischen PEN-Clubs Ende 1972 ausgesetzt war. Der Großteil der erworbenen Objekte betrifft aber Marginters schriftstellerische Anfänge Mitte der 1960er-Jahre. Heimito von Doderer und Herbert Eisenreich zeigen sich darin als frühe Förderer und kritische Leser seines ersten Romans „Der Baron und die Fische“ (1966).
Es war eine Konstellation, die die damalige Literaturkritik interessierte: ein berichtenswertes bürgerliches Gegenprogramm zur tonangebenden literarischen Avantgarde. Im gleichen Jahr, als Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ uraufgeführt wurde, erschien mit „Der Baron und die Fische“ ein phantasiereich erzählter Debütroman rund um einen adeligen Ichthyologen namens Elias von Creutz-Querheim, der sich gemeinsam mit seinem Sekretär Dr. Simon Eybel auf die Suche nach den sagenhaften singenden Fischen begibt. Der Autor dieser irrwitzigen Geschichte war nicht nur ein aufstrebender junger Jurist und Staatswissenschaftler, sondern noch dazu Vater von kleinen Zwillingen. „Der Baron, die Fische und die Zwillinge“ lautete denn auch der Titel einer „Homestory“ über Peter Marginter, die 1967 in der Tageszeitung „Die Presse“ erschien.
1965, einige Monate vor der Geburt der Zwillinge, waren zwei große Erzähler der österreichischen Literatur auf Marginter aufmerksam geworden. Der eine, Herbert Eisenreich, bot sich an, die Manuskripte des angehenden Schriftstellers kritisch zu lesen und handwerkliche Tipps zu geben. In zwei Briefen fasste er sein Urteil zusammen. „In dem Fisch-Buch“ entdeckte Eisenreich „sehr viele treffende und originelle Bilder, Ihre Wortwahl – wenn man so sagen darf – erscheint mir oft als ungemein glücklich […], aber: in den Kleinigkeiten sind Sie ein schlampiger Vogel“. Von einer großflächigen Überarbeitung des Romans riet Eisenreich jedenfalls ab. Marginter solle ihn zügig drucken lassen und sich dem nächsten Werk widmen.
Der zweite prominente Unterstützer war Heimito von Doderer, der sich bereit erklärte, Marginters Erstling für eine große deutsche Tageszeitung zu besprechen. Die Rezension, die den Titel „Die Dinge zum Lächeln bringen“ hätte tragen sollen, wurde nicht mehr niedergeschrieben – Doderer starb vor der Fertigstellung. Erhalten hat sich aber das Leseexemplar, in das er seine Eindrücke eintrug. Es ist ein Genuss, dieses Buch durchzublättern und Doderer bei seinem ersten Lektüredurchgang zu beobachten. Denn es stellt sich heraus, dass er, wie andere Leserinnen und Leser auch, den Finten und Tücken eines ihm unbekannten Romans ausgeliefert war.
Dazu muss man wissen, dass „Der Baron und die Fische“ nach einem Prinzip konstruiert ist, das Marginter selbst mit dem Begriff „Anachronismus“ bezeichnete. Für die Ausstattung seiner Romanwelt habe er sich unbekümmert „aus dem Museum der Kulturgeschichte“ bedient und sie mit Gegenständen und Umständen je „nach Bedarf aus verschiedenen Jahrhunderten und Gegenden“ bestückt. Aufgrund bestimmter Details ging der studierte Historiker Doderer dann davon aus, dass Marginters Roman kurz vor 1914 spiele. Am Ende des Buchs listete er mehrere, zum Teil witzige „Verstöße gegen Zeit-Einzelheiten“ auf, die er dem Text ankreiden zu können meint: zum Beispiel, dass Exekutivbeamte in der Monarchie keinesfalls mit Gummiknüppeln bewaffnet gewesen seien oder dass ein Hausmeister vor 1914 sicher keinen Pyjama getragen hätte, wie es im Roman behauptet wird.
Heimito von Doderer listet „Verstöße gegen Zeit-Einzelheiten“ und sprachlich auffällige Stellen in „Der Baron und die Fische“ auf (Nachlass Peter Marginter, ZPH 1577, 1.1.1.9, S. 316f.)
Ausgerechnet dieses Exemplar des „Baron“, das er nach Doderers Tod als Geschenk bekommen hatte, verwendete Marginter für eine intensive Überarbeitung des Romans angesichts einer Neuauflage bei Klett-Cotta im Jahr 1980. Seine Kugelschreiber-Korrekturen treten dadurch in einen Dialog mit Doderers Bleistift-Anmerkungen.
Die Hausmeister-Pyjama-Stelle in „Der Baron und die Fische“ mit Anmerkungen von Heimito von Doderer und Peter Marginter (Nachlass Peter Marginter, ZPH 1577, 1.1.1.9, S. 40f.)
Im Fall des gewichtigen Pyjama-Problems sieht das so aus: Der gedruckte Text spricht von einem „Hausmeister in einem blauweißgestreiften Pyjama“. Dazu merkte Doderer im Jahr 1966 an: „gibts nicht vor 1914“. Bei der Überarbeitung strich Marginter den „Pyjama“ durch und notierte am unteren Rand eine neue Variante, sodass der Hausmeister in der Neuauflage „in einer wadenlangen Unterhose“ dastand. Doderer soll allerdings, laut Familienüberlieferung, vehement für das schöne österreichische Wort „Untergattinger“ eingetreten sein.
Bei einem dieser Zusammentreffen bei den Marginters übergab Doderer ein Exemplar seines Romans „Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal“ (München: Biederstein, 1950). Er hatte das Buch mit einer reizenden vierfarbigen Widmung für die vierköpfige Familie versehen:
Der lieben
Marginter-Familie
herzlichst zugeeignet
als da sind:
DDr. Peter Marginter und Frau Eva,
Maria und Benedict!
Heimito Doderer
Wien, im Juni 1966
Heimito von Doderers Widmung an die „Marginter-Familie“ (A-129457/5. Ex.)
Quellen und weiterführende Literatur
- Peter Marginter: Marginters Zwillinge. In: Die Presse vom 24.12.1968, Weihnachts-Beilage, S. III
- Peter Marginter: Die Innenwelt und die äußeren Welten. Über Motive meiner Arbeit. In: Morgen (Klosterneuburg) 2 (1978), H. 4, S. 153f., hier S. 153
- Peter Marginter: Ich erschaffe (m)eine Welt. Zur Entstehung von „Der Baron und die Fische“. In: Thomas Le Blanc und Wilhelm Solms (Hrsg.): Phantastische Welten. Märchen, Mythen, Fantasy. Regensburg: Röth 1994 (= Veröffentlichungen der Europäischen Märchengesellschaft 18), S. 191–205
- Alfred Focke: Peter Marginter. In: Wiener Bücherbriefe 2/1971, S. 37–40
- Gerhard Hubmann: Des Meisters Randnotizen [Über Peter Marginter, dessen Roman „Der Baron und die Fische“ und Heimito von Doderer]. In: Wiener Zeitung, Extra (Wochenendbeilage) vom 17./18.12.2016, S. 43
- Gerhard Hubmann: Lesefrüchte und Dachbodenschätze. Ein frühes Notizheft Peter Marginters. In: Marcel Atze und Volker Kaukoreit (Hrsg.): „Gedanken reisen, Einfälle kommen an.“ Die Welt der Notiz. Sichtungen, 16./17. Jg., Wien: Praesens 2017, S. 278–292
- Pia Maria Plechl: Der Baron, die Fische und die Zwillinge. In: Die Presse vom 15.07.1967, Die Dame (Beilage), S. VI
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Informationen zum Nachlass Peter Marginter
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