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Hochwasseropfer werden aus der Anonymität geholt
Die Wiener Hochwasserkatastrophe von 1830: Verzeichnis der Todesopfer
von Christian Mertens,
11. September 2024
Im Spätwinter 1830 wurden große Teile des heutigen Wiener Stadtgebiets von einem außergewöhnlich starken Hochwasser heimgesucht. Treibeis hatte einen Eisstoß verursacht, der das Wasser der Donau aufstaute. In der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März durchbrachen die Wassermassen die Eisbarriere und überfluteten sämtliche Dämme. Dadurch wurden die Siedlungen entlang des Donaukanals, insbesondere die Vorstädte Rossau und Leopoldstadt, aber auch tiefer gelegene Teile der Inneren Stadt binnen Minuten bis über zwei Meter hoch überschwemmt. Im Donaukanal selbst stieg das Wasser um mehr als fünf Meter an und spülte riesige Eisblöcke in die Gassen, wo sie Mauern und Holzzäune zerstörten. Selbst bis dahin nie betroffene Flächen und Gebäude standen 1830 unter Wasser.
74 Todesopfer und enorme Sachschäden
Zeitgenössische Berichte dokumentieren enorme Schäden an Gebäuden und totes Vieh auf den Straßen. Das plötzliche Einsetzen der Flut, ein heftiger Orkan, der Kommunikation und Hilfe erschwerte, vor allem aber auch der Zeitpunkt der Überschwemmung – mitten in der Nacht – kostete 74 Personen das Leben. Die Opfer waren in der Leopoldstadt, der Rossau, in Lichtental und der Alservorstadt zu beklagen und sind im beschriebenen Dokument detailliert aufgelistet. Die Liste stimmt mit jener im Katastrophenbericht des Schriftstellers Franz Sartori überein und verzeichnet wenige Wochen alte Säuglinge ebenso wie hochbetagte Menschen. Die angegebenen Berufe deuten eher auf Personen aus unteren Gesellschaftsschichten hin – vermutlich oft ebenerdig oder unter Straßenniveau wohnend –, die im Schlaf von der Flut überrascht worden waren. Auch die Kälte, Panik und umhertreibende Gegenstände sollen zum Tod mancher beigetragen haben.
Verzeichniß sämmtlicher, in Folge der in der Nacht vom 28. vorigen auf den 1. dieß Monats eingetretenen Ueberschwemmung todt gefundenen Individuen, Wien, o. V. 1830. S. 2.
Hilfe und Konsequenzen der Überschwemmung
Zur Unterstützung der betroffenen Bevölkerung gab es eine Vielzahl privater Initiativen wie Spendensammlungen, Lotterien, aber auch Benefizveranstaltungen, so etwa ein Konzert im Etablissement Sperl am 21. März 1830, das nur drei Wochen nach der Überschwemmungskatastrophe stattfand. Der gesamte Reinerlös – eine Eintrittskarte kostete einen Gulden Konventionalmünze, nach heutiger Kaufkraft mehr als 26 Euro – war wohltätigen Zwecken gewidmet.
Noch schlimmer aber wurden Wien und seine Vorstädte von den im Anschluss auftretenden Krankheiten getroffen, hervorgerufen durch übergelaufene Senkgruben, wodurch die Brunnen verseucht wurden. Das Hochwasser 1830 und ein weiteres 1862 waren schließlich Anlass für die Regulierung der Donau in Wien in den 1870er Jahren. Außerdem erarbeiteten die Behörden in den folgenden Jahren umfangreiche Maßnahmenpläne für den Fall einer (drohenden) Überschwemmung.
Quellen und weiterführende Literatur
- Ein umfassender Überblick über die Ereignisse findet sich in: Franz Sartori, Wien’s Tage der Gefahr und die Retter aus der Noth. Eine authentische Beschreibung der unerhörten Ueberschwemmung Wien’s ..., Bd. 1, Wien, Gerold 1830
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Verzeichnis der Todesopfer: Verzeichniß sämmtlicher in Folgen der in der Nacht vom 28. vorigen auf den 1. dieß Monats eingetretenen Überschwemmung todt gefundenen Individuen
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