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Gegen Waffen und Grenzen

Josef Drachs Friedensprojekt in der Zwischenkriegszeit

Unterstützungserklärungen für das Friedensprojekt von Josef Drach, um 1925. Wienbibliothek im Rathaus, H.I.N.-226587

von Christian Mertens,
29. Mai 2024

Die Wienbibliothek im Rathaus verwahrt eine rote Ledermappe, in der sich auf 273 Blättern zahlreiche Unterschriften, Widmungen, Gedichte und Unterstützungserklärungen für eine paneuropäische Friedensidee befinden. Diese war vom jüdischen Antiquitätenhändler Josef Drach ins Leben gerufen worden. Die Mappe wurde 2008 im Zuge der Aufarbeitung noch unbearbeiteter Bestände aufgefunden. Weder in den Inventaren noch im Bestand selbst findet sich einen Hinweis auf die Herkunft des Konvoluts.

Die Vereinigten Staaten von Europa und der Friedensdollar

Josef Drach, geboren am 12. März 1883 in Sereth, Bukowina (Siret, Rumänien), lebte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Wien, wo er eine Kunst- und Antiquitätenhandlung betrieb, die er bis 1929 führte. Unter dem Eindruck des Krieges war er überzeugter Pazifist geworden und bemühte sich – auch unter Einsatz seines Vermögens – um die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“, deren Hauptstadt Wien sein sollte. Seine Aktivitäten stellte er unter das Motto „Gegen Waffen und Grenzen“.

Kernstück der paneuropäischen Initiative Drachs war die Schaffung einer europäischen Einheitswährung, des „Friedensdollars“, dessen Emission in den alleinigen Händen des Völkerbundes beziehungsweise einer zu errichtenden „Friedensbank“ mit Sitz in Wien liegen sollte. Den Nationalstaaten wäre dadurch das Geld zum Kriegführen entzogen; Zollschranken würden automatisch fallen, was zu einer Verbilligung der Waren und zu einer Senkung der Lebenshaltungskosten führen würde. Auch für das Aussehen der Münzen und Banknoten gab es bereits ganz konkrete Entwürfe; sie sollten mit Symbolen des Friedens und Porträts von Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft von europa- beziehungsweise weltweiter Bedeutung geschmückt sein.

Provenienz unbekannt?

Drach, der in seinem Beruf als Antiquitätenhändler mit vielen prominenten und wohlhabenden Personen zu tun hatte, legte zur Förderung seiner Pläne Unterschriftenlisten auf, die oft mit weiterführenden Gedanken oder Widmungen versehen wurden. Nach dem ‚Anschluss‘ 1938 bemühte er sich vergeblich um eine Emigration nach Chicago (USA), wo Verwandte lebten. 1941 wurde er als Jude in das Getto Kielce deportiert, in dem er ermordet wurde. Laut einem Bericht in der Zeitschrift Wien aktuell dürfte das hier vorgestellte Konvolut über den Kunsthändler Ferdinand Spany, der in der NS-Zeit eine zwielichtige Rolle gegenüber jüdischen Bekannten spielte, in die Wienbibliothek im Rathaus gekommen sein.

Die Mappe ist eines von mehreren tausend Objekten, die von der Wienbibliothek im Rathaus als „NS-Raubkunst“ eingestuft wurden und der Wiener Rückstellungs-Kommission vorgelegt wurden. Leider konnten bisher noch keine Rechtsnachfolgenden zwecks Restitution des Konvoluts gefunden werden. Die Geschichte des Bukowiner Idealisten Josef Drach findet sich auch in dem kürzlich erschienenen Band „In gutem Glauben erworben“ – 25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien, das die Arbeit in den Museen der Stadt Wien und der Wienbibliothek im Rathaus seit dem Beschluss des Wiener Gemeinderates aus dem Jahr 1999 nachzeichnet. Damals verpflichtete sich die Stadt Wien zur ausnahmslosen Rückgabe aller Objekte, die zwischen 1933 und 1945 unrechtmäßig in die Sammlungen kamen. Das Buch ermöglicht aber auch einen Einblick in jüdische Lebensrealitäten der Zwischenkriegszeit und die unterschiedlichen Formen der Beraubung in der NS-Zeit. Der Fall Drach zeigt, dass es sich dabei nicht nur um wertvolle Gemälde handelte, sondern auch um materiell bedeutungslose Alltagsobjekte, die für ihre Besitzerinnen und Besitzer jedoch einen wichtigen ideellen Stellenwert hatten.


Der am 23. April vorgestellte Band bietet einen Blick in
die Vielfalt jüdischer Lebensrealitäten der Zwischenkriegszeit.

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