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„… etwas von einer Jugendfreundschaft“ – Lotte Tobisch und Theodor W. Adorno

Ansichtskarte von Theodor W. Adorno an Lotte Tobisch vom 16.10.1963 aus Lucca. Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Lotte Tobisch, ZPH 1827, Archivbox 3, 2.4.1.22.

von Tanja Gausterer,
17. März 2023

„Dank Dir für Deine Karte aus Lucca! Ich habe viele Tage Lektüre durch sie gehabt: Bin mir vorgekommen wie ein alter, weiser Ägyptologe, der, mit Hilfe von einem großen Vergrößerungsglas, kostbare Hieroglyphen entziffert! Das ist die Strafe dafür, daß ich immer behauptet habe, [Theodor] Däublers Schrift sei die unleserlichste! Oh Teddy! Seine Klaue ist gegenüber Deiner herzige Blockschrift!“ Mit diesen launigen und humorvollen Zeilen antwortete Lotte Tobisch auf eine Ansichtskarte von Theodor W. Adorno aus der italienischen Stadt Lucca vom 16. Oktober 1963.

Zu entziffern war in der auch für Fachkundige schwer lesbaren Handschrift des berühmten Philosophen und Soziologen: „Ma très chère, tatsächlich bin ich nach herrlichem Alpenflug gut in die Toscana gekommen und genieße die Nachferien in der unendlich milden, herbstbunten und sommerwarmen Landschaft – Lucca besonders schön! Natürlich sehr traurig, daß aus Nürnberg nichts wurde, aber ich geb die Hoffnung nicht so leicht auf –. Hat sich [Egon] Hilbert in der [Alban-]Berg-Sache geregt? Unterdessen bat mich [Georg] Solti um Intervention für Covent Garden in der gleichen Angelegenheit; aber Wien hat halt die Vorhand. – Ende Oktober bin ich wieder in Fr[ankfurt]. Ich denke sehr an dich. Sei umarmt von deinem Teddie [/] Verzeih die bunte Karte – keine andere erreichbar!“

Das Freundschaftsband der Schauspielerin und späteren Opernballorganisatorin mit Theodor W. Adorno war glücklicherweise nicht an die Handschrift geknüpft, sondern erfolgte über persönliche Begegnungen, Telefonate und generell über getippte Briefe, die Adorno im Wissen um seine „Klaue“ seiner Frau Gretel oder seiner Sekretärin diktierte.

Kennenlernen in Wien

Kennengelernt hatten sich Tobisch und Adorno im Frühjahr 1962 bei einem Abendessen in der Wohnung des ehemaligen Burgtheaterdirektors Josef Gielen, mit dem die Schauspielerin durch ihre Beziehung mit Erhard Buschbeck, der über 40 Jahre in der Direktion des Theaters gewirkt hatte, vertraut war. Adorno hatte über Rosa Gielen, Schwester seines einstigen Wiener Klavierlehrers Eduard Steuermann, privaten Zugang zur Familie. Der Frankfurter Universitätsprofessor fühlte sich sogleich von Lotte Tobischs Charisma und Intelligenz angezogen. In ihren Erzählungen wurden u. a. Buschbecks Freundschaften mit den Lyrikern Georg Trakl und Theodor Däubler wie sein Engagement im „Akademischen Verband für Literatur und Musik“ lebendig und boten Verbindungslinien zu seinem eigenen Leben und Wirken an: Von Trakl und Däubler hatte er Gedichte vertont, in Wien hatte er 1925 nicht nur Klavierunterricht bei Steuermann genommen, sondern auch Kompositionslehre bei Alban Berg studiert.

„Unser Verhältnis hat ja auch dies Merkwürdige, daß es, trotz unseres Altersunterschiedes […] etwas von einer Jugendfreundschaft hat durch all die Fäden, die von Dir zu meiner eigenen Jugend und deren bestimmenden Erfahrungen sich spinnen“, resümierte Adorno 1964 über diese freundschaftliche Beziehung anlässlich von Eduard Steuermanns Tod.

Brief von Theodor W. Adorno an Lotte Tobisch vom 20.11.1964, S. 1. Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Lotte Tobisch, ZPH 1827, Archivbox 3, 2.4.1.56.


Lotte Tobisch bemühte sich zu dieser Zeit intensiv, das Andenken an Erhard Buschbecks Verdienste hochzuhalten, sortierte seinen schriftlichen Nachlass, versuchte, Editionen seiner umfangreichen Korrespondenzen mit Trakl und Däubler zu lancieren, und plante ein Buchprojekt mit einer Auswahl seiner Schriftstücke. Dass ihre 1960 verstorbene Lebensliebe Protagonist des als ‚Watschenkonzert‘ bekannt gewordenen „Großen Orchester-Konzerts“ am 31. März 1913 im Wiener Musikvereinssaal war, nutzte Adorno für ein Rundfunkgespräch mit Tobisch zu den „Wiener Skandalen um die moderne Musik“, das 1965 vom Norddeutschen Rundfunk in Sils Maria aufgezeichnet wurde.

 

 

Theodor W. Adorno und seine Frau Gretel in Sils Maria, fotografiert von Lotte Tobisch. Wienbibliothek im Rathaus, Nachlass Lotte Tobisch, ZPH 1827, Archivbox 5, 3.13.7.1.


Tobisch erzählte darin, wie Buschbeck nach auftretenden Unruhen im Publikum, das an Arnold Schönbergs Programm (u. a. mit Alban Berg, Gustav Mahler und Alexander von Zemlinsky) Anstoß nahm, die Räson verlor und einen der lauthals Protestierenden ohrfeigte.

„Für das liebste Lotterl, ohne das dies Buch nicht existierte“

Neben dem herzlich-privaten Austausch spielte die (Wiener) Kultur durchgehend eine große Rolle in dem etwa 200 Korrespondenzstücke umfassenden Briefwechsel, der knapp zwei Monate vor Adornos Tod im August 1969 endete. Adorno vermittelte Kontakte zu Verlegern und sprach Tobisch Mut für alle Lebensbelange zu, sie informierte ihn ihrerseits über das Wiener Kulturleben und assistierte bei der Vorbereitung seiner Wien- und Österreich-Reisen, in Unterkunftsfragen ebenso wie bei der Koordinierung von Auftrittsmöglichkeiten.

Oftmaliges Thema blieb auch Alban Berg. Zum einen bemühte sich Adorno um eine Fertigstellung von dessen Opernfragment „Lulu“, die er mit Hilfe von Lotte Tobisch und dem Staatsoperndirektor Egon Hilbert bei der Witwe Helene Berg (letztlich erfolglos) erwirken wollte. Zum anderen beendete der große Berg-Bewunderer ein Projekt mit Tobischs Unterstützung erfolgreich, nämlich „Alban Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs“. „Für das liebste Lotterl, ohne das dies Buch nicht existierte“, hielt er am 22. Oktober 1968 in seiner Widmung anerkennend fest.

Widmung von Theodor W. Adorno in „Alban Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs“ (Wien: Verlag Elisabeth Lafite, Österreichischer Bundesverlag 1968). Wienbibliothek im Rathaus, Nachlassbibliothek Lotte Tobisch.


Weiterführende Informationen

Lotte Tobisch vermachte der Wienbibliothek im Rathaus testamentarisch einen Teil ihres schriftlichen Nachlasses, darunter der Briefwechsel mit Theodor W. Adorno. Mehr dazu und zu Lotte Tobisch gibt es bis 31. März 2023 in der Ausstellung "Wiener Salondame? Ein Albtraum!" im Ausstellungskabinett der Wienbibliothek im Rathaus zu sehen und im gleichnamigen Begleitband nachzulesen.

Mit herzlichem Dank an die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur für die Erlaubnis zur Verwendung von Adornos Handschriften.

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