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„Der ganz große Humbug“ – Karl Kraus über Max Reinhardts Film A Midsummer Night’s Dream

Werbeplakat zum Film "A Midsummer Night's Dream". Wienbibliothek im Rathaus, Teilnachlass Max Reinhardt, ZPH 1565, 1.2.33.

von Michael Burger,
23. April 2024

Kaum Kosten und Mühen wurden gescheut, um die Vision des „Zauberers“ Max Reinhardt auf die Filmleinwand zu bringen. Mit der Adaption von William Shakespeares A Midsummer Night’s Dream legte der vielgefeierte Bühnenregisseur 1935 seinen ersten Tonfilm vor – eine Hollywoodproduktion, finanziert von einem der größten Studios der damaligen Zeit, den Warner Brothers Studios. Das vor allem mit opulenter Ausstattung und pompöser Musik aufwartende Lustspiel wurde von der internationalen Kritik durchaus wohlwollend aufgenommen. In Österreich waren die Pressestimmen gespalten. Einer, der diesem Film gar nicht positives abgewinnen konnte, war Karl Kraus, der in der Fackel diesen ausführlich besprochen hat.

Vom Theater auf die Leinwand – A Warner Bros. Picture

Max Reinhardt war in den 1930er Jahren kein gänzlich Unbekannter in den USA, hatte er mit seinen Theaterinszenierungen doch durchaus für einiges an Aufsehen gesorgt. Furore machte der österreichische Theaterregisseur vor allem mit seiner Shakespeare-Inszenierung A Midsummer Night’s Dream in der berühmten Hollywood Bowl, eine der größten Freilichtbühnen der Welt. Dort sollen an zehn Abenden fast 200.000 Besucher*innen das Stück gesehen haben. Presse und Publikum waren begeistert, tauchten sie doch tief in das Märchenland Reinhardts ein und wurden Zeug*innen einer imposanten Inszenierung, deren Finale in einem Leuchtzug aus 12.000 Fackeln kulminierte.

Unter der Vermittlung von William Dieterle, den Reinhardt noch aus seiner Zeit in Berlin kannte, engagierten die Warner Brothers Studios den Theaterregisseur für eine filmische Adaption seiner überaus erfolgreichen Inszenierung. Allen Forderungen Reinhardts wurde stattgegeben, sogar Erich Wolfgang Korngold wurde auf expliziten Wunsch des Regisseurs von Wien nach Hollywood eingeflogen und als musikalischer Leiter verpflichtet. Dieterle selbst fungierte als Co-Regisseur. 

Bereits in der Vergangenheit war Reinhardt mit dem filmischen Medium in Kontakt gekommen, dennoch lagen seine vier Filmwerke (der als verschollen geltende Film Sumurûn (1910), Das Mirakel (1912), Insel der Seligen (1913) und Venetianische Nacht (1914)) bereits zwei Jahrzehnte zurück und waren gänzlich anderen Produktionsbedingungen geschuldet. Außerdem entstanden sie unter dem Einfluss der expressiven Schauspielkunst der Stummfilmzeit. Zwar versuchte Reinhardt, mit den medialen Möglichkeiten des Films, wie weiche Schnitte und Doppelbelichtungen, zu spielen, allerdings konnten die stark ans Theater angelehnten Filme an der Kinokassa nicht reüssieren.

Ankündigung von Max Reinhardt's Film "Venetianische Nacht" (Ausschnitt). In: Kinematographische Rundschau, Nr. 396, 10.10.1915

Mit A Midsummer Night’s Dream nahm Reinhardt nun einen neuen Anlauf. Der Film war als Großproduktion mit einem Etat von über einer Million Dollar angelegt. Nicht nur waren Literaturverfilmungen in dieser Zeit en vogue, sondern auch Kostümfilme erfreuten sich großer Beliebtheit. Da die Einführung des Tonfilms kaum ein Jahrzehnt zurücklag, bot die Shakespeare-Produktion darüber hinaus die Möglichkeit, Elemente des damals populären und jungen Musicalgenres aufzunehmen. Nicht nur arrangierte Korngold die Musik in Form eines Opernlibrettos, sondern der Film enthält auch kurze Gesangs- sowie einige Tanzpassagen.

Lobhymnen und Kritik

Die Weltpremiere fand am 9. Oktober 1935 zeitgleich in Hollywood, New York und London statt. Die internationale Kritik nahm das Werk durchaus positiv auf. Mickey Rooney, der den Puck verkörperte, und Olivia de Havilland in der Rolle der Hermia galten als die großen Entdeckungen und starteten von hier aus ihre beeindruckenden Hollywoodkarrieren.
 

Max Reinhardt führt Filmregie. In: Mein Film, Heft 511, 1935


In Reinhardts Heimat Österreich äußerte sich beispielsweise Franz Werfel im Neuen Wiener Journal euphorisch über diesen Film und attestierte ihm sogar einen erkenntniserweiternden Einblick in das Werk des englischen Dichters: „Die Elementargewalt des Werkes [d.i. Shakespeares A Midsummer Night’s Dream] ist nie klarer Ereignis geworden, als hier. […] Der reinste Lohn von Max Reinhardts Traumfilm ist, daß wir Shakespeare nachher noch tiefer verstehen und noch demütiger lieben als vorher.“ (Neues Wiener Journal, 3. November 1933).

Daneben wurden auch kritische Stimmen laut, allen voran Studioboss Jack Warner, dem der Film deutlich zu lang war und der deshalb eine Kürzung um ungefähr 20 Minuten veranlasste. Verhalten äußerte sich auch die Zeitschrift Profil. Österreichische Monatsschrift für bildende Kunst, die Reinhardt fehlendes Knowhow mit dem filmischen Medium attestierte: „Im ganzen ein Eklektizismus, der Motive aus Theateraufführungen unbedenklich übernahm“ (Profil, 1935, Ausgabe 12, S. 8).

Werbeplakat "A Midsummer Night's Dream", Teil einer Pressemappe von Warner Bros. Wienbibliothek im Rathaus, Teilnachlass Max Reinhardt, ZPH 1565, 1.2.37.


“Warum Bildgwirr? wozu überlebensgroßes Riedgras? wer braucht heute Gnomen?“ – Karl Kraus‘ Kritik an A Midsummer Night’s Dream

Kraus hingegen ging in seiner Kritik noch weiter. Bereits in den Jahren zuvor äußerte sich Kraus wenig wertschätzend zur Inszenierungsweise Reinhardts, mit dem ihn zeitlebens eine innige Feindschaft verband. Im Zusammenhang mit seinen Offenbach-Inszenierungen sprach der Satiriker Reinhardt jegliches Verständnis für das künstlerische Handwerk ab: „[V]om Theater als solchem hat er [d.i. Max Reinhardt] auch nicht die geringste Ahnung.“ (Die Fackel, Nr. 868-872, S. 8)

Die Besprechung des Films betitelte Kraus in der 917-922. Ausgabe der Fackel mit „Der ganz große Humbug“, womit er zugleich die inhaltliche Richtung seiner Filmbesprechung vorgab. Nicht von ungefähr rekurrierte er auf den englischen Begriff „Humbug“, um die Inszenierung Reinhardts anzukreiden, ging es ihm ja ihn erster Linie darum, die Dichtung Shakespeares gegen den Film zu verteidigen (wobei der Begriff bei Shakespeare selbst nicht vorkommt und Kraus womöglich auf Ebenezer Scrooges Ausspruch „Bah! Humbug!“ rekurriert, da die Filmaufführung zeitlich nahe an Weihnachten 1935 lag).

Grundsätzlich beschäftigte sich Kraus intensiv mit den Werken und Übersetzungen Shakespeares, die er auch bei öffentlichen Vorlesungen in Form eines „Theaters der Dichtung“ vortrug. Besagtes „Theater der Dichtung“, das als Negativfolie über seiner Reinhardt-Besprechung liegt, gründet auf einem spezifischen Verständnis literarischer (Theater-)Vorlagen, deren Aufführung nicht primär einer sinnlich-erfahrbaren Inszenierung bedarf, sondern in der vor allem das gesprochene Wort zu seiner vollen Entfaltung kommen soll. Dass Reinhardt nun den Stoff auf Celluloid bahnte, dürfte bei Kraus bereits vorab für Irritation gesorgt haben.

Szenenbilder aus Max Reinhardt's Film "Ein Sommernachtstraum". In: Mein Film, Heft 514, 1935


Die Kritik an Reinhardts A Midsummer Night’s Dream bricht der Satiriker auf die zwei Begriffe „Schaulust und Hörqual“ (Die Fackel, Nr. 917-922, S. 16f.) herunter. Mit diesen Termini öffnet Kraus das Spannungsfeld, das bis heute die Rezeption des Filmes maßgeblich prägt: Die literarische Vorlage ist nur noch Mittel zum Zweck für die Darstellung üppiger Dekors und einer imposanten Filmmusik. Das Werk des englischen Dichters wurde für den Film drastisch gekürzt und Szenen anders arrangiert, wodurch der Film für Kraus auch jegliche Komik vermissen lässt. Dass der sprachgewandte Satiriker Kraus mit dem Traumland Reinhardts wenig anzufangen weiß, betont er an mehreren Stellen und äußert des Öfteren seinen Unmut über die Ausstattung, die für ihn keinen Bezug mehr zur Vorlage hat. „Reinhardt ist gelungen, was der Zoologie, aber auch Shakespeare nicht gelang: das bekannte unbekannte Einhorn zur Stelle zu schaffen“ (Die Fackel, Nr. 917-922, S. 7), wie er an einer Stelle polemisch äußert.

Den zweiten großen Kritikpunkt sieht er auf der auditiven Ebene. Nicht nur findet die dichterische Sprache Shakespeares keinen Widerhall in den Bildern, sondern es wurden auch filmtypisch Handlungen an die Stelle von Dialogen gesetzt. Des Weiteren ist die Musik fast omnipräsent und überdeckt oft die Dialoge. Kraus schreibt in weiterer Folge auch gegen den Tonfilm als solchen an und vertritt damit eine damals durchaus weit verbreitete Ansicht, dass die eigentliche Kunst des Filmes – das Erzählen in Bildern – durch den Tonfilm seiner Daseinsberechtigung beraubt wurde. „Wenn die Technik sich das Sprechen abgewöhnte, wäre ihr Verdienst größer“ (Die Fackel, Nr. 917-922, S. 16), wie er resümiert feststellt. All diesen Kritikpunkten zum Trotz bleibt Kraus letztlich sehr vage in der Frage, wie eine seiner Ansicht nach gelungene Shakespeare-Verfilmung aussehen könnte – und ob diese überhaupt möglich ist.

Bezeichnenderweise folgt auf Kraus‘ 22-seitige Abrechnung mit Reinhardts Filmwerk ein Text zum zweiten Band seiner teilweise sprachlich überarbeiteten Shakespeare-Werke, welche er unter dem Titel „Der neue Shakespeare“ bespricht. Das „neue“ Medium Tonfilm in persona Max Reinhardt hat es, so könnte man Kraus interpretieren, nicht geschafft, einen neuen Shakespeare hervorzubringen.

Der geplatzte Traum von Hollywood und die letzte Ausgabe der Fackel

Kraus sah jedoch in der Inszenierung Reinhardts durchaus das Potential, zum Filmhit zu avancieren: „Es wird ihnen zwar gelingen, das Publikum, aber nicht Shakespeare für die Leinwand einzufangen“ (Die Fackel, Nr. 917-922, S. 16) Dennoch stellte sich A Midsummer Night’s Dream trotz des Gewinns zweier Academy Awards in den technischen Kategorien für die beste Kamera und den besten Schnitt sowie einer enormen Werbestrategie als finanzieller Flop heraus. Reinhardt wurden im weiteren Verlauf bereits geplante Projekte entzogen. Ursprünglich war angedacht, eine Filmreihe zu Shakespeare zu machen, die mit A Midsummer Night’s Dream ihren Anfang nehmen sollte. Dies wurde ebenso wenig realisiert wie ein Film zu Danton und eine Verfilmung von Fjodor M. Dostojewskis Der Spieler. Reinhardt zog sich komplett aus dem Filmmetier zurück und widmete sich wieder verstärkt der Theater- und Schauspielarbeit, ehe er 1943 in New York verstarb.

Beginn des Vorworts von Max Reinhardt zu "William Shakespeare. A Midsummer Night's Dream", Durchschlag [1935]. Wienbibliothek im Rathaus, Teilnachlass Max Reinhardt, ZPH 1565, 1.2.35.


Im Februar 1936 wurde Kraus des Nachts von einem Unbekannten niedergestoßen, woraufhin sich sein Gesundheitszustand massiv verschlechterte. Neben chronischen Kopfschmerzen und eintretenden Gedächtnisschwund erlitt er auch einen Herzinfarkt. Am 12. Juni 1936 verstarb Kraus in seiner Wohnung in der Lothringerstraße 6. Die Abrechnung mit Reinhardts Werk sollte seine letzte Fackel-Ausgabe bleiben.

Abspann

Die Wienbibliothek im Rathaus beherbergt im Teilnachlass zu Max Reinhardt eine Fülle an Materialien zur Filmadaption A Midsummer Night’s Dream. Im Wien Geschichte Wiki wurde anlässlich des 150. Geburtstags des Satirikers das Karl Kraus-Portal aufgebaut. Darüber hinaus ist von 26. April bis 18. Oktober eine kleine Schau im Foyer der Wienbibliothek zu sehen, die sich mit der Familie Karl Kraus‘ auseinandersetzt. Ob Kraus auch mit einem seiner Familienmitglieder im Kino war (und ob dort gar Reinhardts A Midsummer Night’s Dream lief), ist bis dato (noch) nicht belegt.

Quellen

  • Helmut G. Asper: Filmexil in Hollywood. „Etwas Besseres als den Tod…“. Porträts, Filme, Dokumente. Marburg: Schüren 2002.
  • Daniel Hope/Wolfgang Knauer: Sounds of Hollywood. Wie Emigranten aus Europa die amerikanische Filmmusik erfanden. Reinbek/Hamburg: Rowohlt 2015.
  • Peter W. Marx: Max Reinhardt. Vom bürgerlichen Theater zur metropolitanen Kultur. Tübingen: Narr Francke Attempto 2006.
  • Christian Mikunda/Maria Teuchmann: Hollywood im Reich der Elfen und Zwerge. Über Max Reinhardts Verfilmung von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“. Wien: Schriftenreihe des Österreichischen Filmarchivs 1983.
  • Alexandra Millner: Literatur und Theater. In: Katharina Prager/Simon Ganahl (Hg.): Karl Kraus Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: Metzler 2022, S. 271-288.
  • Antonio Riberio: Karl Kraus und Shakespeare. Die Macht des Epigonen. In: Joseph P. Strelka (Hg.): Karl Kraus. Diener der Sprache – Meister des Ethos. Tübingen: Francke 1990, S. 237-285.
  • Karl Kraus: Die Fackel, URL: fackel.oeaw.ac.at

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