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Objekt des Monats Juni 2018: Brief von Hermann Nitsch an Edith Adam, New York 1968

Brief von Hermann Nitsch an Edith Adam, New York 1968, WBR, Handschriftensammlung, HIN-234045. [Nicht rechtefrei]

Heuer jährt sich zum 50. Mal die Erinnerung an den 7. Juni 1968. Vor ungefähr 300 Zuschauern fand die Aktion Kunst und Revolution im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien statt, veranstaltet von der sozialistischen Studentenvereinigung SÖS, ausgeführt von den Künstlern Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel, Oswald Wiener und unter Beteiligung von Malte Olschewski ("Masochist Laurids"). Es war der Kunstskandal der österreichischen Nachkriegszeit - durchgeführt von einer radikalen, künstlerischen Avantgarde.

Wiener Aktionismus und Hermann Nitsch

Eine Person fehlte bei dieser Aktion, nämlich Hermann Nitsch, dessen Werkposition gemeinsam mit jenen von Günter Brus, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler eine künstlerische Entwicklung in der Nachkriegszeit begründete, den Wiener Aktionismus. 

Österreich befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner faschistischen Vergangenheit in einer isolierten politischen und kulturellen Lage. Unter einigen anderen künstlerische Kräften wie beispielsweise der Wiener Gruppe, der H.C. Artmann, Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener angehörten, entwickelten die Wiener Aktionisten (gemeinsam mit der Wiener Gruppe) in den 1950er und besonders in den 1960er Jahren neue und radikale Wege in Richtung einer Moderne.

Hermann Nitsch komponierte seine Aktionen mit Kreuzigungsszenen, Tierkadavern, liturgischen Szenen und seinen eigenen musikalischen Arbeiten schon 1957 zum sogenannten Orgien-Mysterien-Theater, ein sinnlich-archaisches Gesamtkunstwerk, das ihn bis heute ständig beschäftigt.

Nitschs Brief an Edith Adam

Der vorliegende Brief aus der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus ist aus dem Jahr 1968 datiert. Hermann Nitsch, der sich gerade in New York aufhielt, schrieb an die Lebensgefährtin Rudolf Schwarzkoglers, Edith Adam. Inhaltlich ist von einem Katalogtext die Rede, den er ihr für eine bevorstehende Ausstellung in Wien übersendet. Dieser Katalogtext hat sich als Beilage zum Brief in unserer Sammlung nicht erhalten.

Nitsch schreibt, dass der Text möglicherweise gekürzt werden müsse, er betont, dass nur Edith Adam befugt sei, Streichungen vorzunehmen – mit Ausnahme der Passage "manifest panorama", die unbedingt bleiben müsse. Es könnte sich um einen Auszug des Textes Manifest Panorama 1 "Malerei in Bewegung" (1965) von Rudolf Schwarzkogler handeln, wo es um den Malakt und den Aktionsraum geht, oder um das zweite Manifest Panorama "Malerei als Verbrechen" (1966/68), eine gesellschaftskritische Verurteilung der bisherigen Malerei und ein Aufruf Schwarzkoglers an die Künstler, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln radikal und subversiv zu arbeiten.

Weiters spricht Nitsch, sichtlich nervös, von seiner bevorstehenden Aktion in der New Yorker Cinematheque, die er vorbereiten müsse und dass Edith Adam ihm doch die Daumen drücken möge.

Nitsch in den USA

Nitsch reiste 1968 auf Einladung des litauischen Filmemachers Jonas Mekas in die USA, um vier Aktionen durchzuführen. Am 2. März 1968 fand die zweistündige 25. Aktion in der Cinematheque, am 6. März die 26. Aktion am selben Ort, am 23. März die 20-minütige 27. Aktion im Hof der Judson Church statt. In der darauffolgenden Woche, am 4. April, realisierte Nitsch die zweistündige 28. Aktion, ein Abreaktionsspiel im Rahmen des Spring Art Festivals Cincinnati, in der Great Hall der University of Cincinnati.

Er traf  Vertreter der amerikanischen Fluxus- und Happening-Bewegung, wie Nam June Paik, Charlotte Moorman, Carolee Schneemann und Alan Kaprow. Die Zeitschrift "Village Voice" interviewte ihn und "UC's News Record" schrieb eine Titelseite über seine Arbeiten. Nitsch wurde vom amerikanischen Underground als einer der wichtigen neuen Dramatiker erkannt.

Roslyn Bernstein, Professorin für Journalismus und kreatives Schreiben, und Shael Shapiro, Pionier in SOHO, erinnern sich an die Ereignisse in der Cinematheque 1968: "(…) vor einem Haufen Schafmäuler und Tierorganen stehend, vor den betäubten Augen eines vollen Hauses, tauchte Nitsch und andere Darsteller in das blutige Chaos ein. Zu einem Zeitpunkt stopfte Jon Hendricks blutige Gehirne in seine Hose und zog sie durch seinen Reißverschluss wieder heraus. Ein 19-jähriges Mädchen in einem weißen Kleid legt sich unter ein baumelndes, blutiges Schaf, und nasse Eingeweide wurden auf ihre Geschlechtsorgane gelegt." (Zitat entnommen: Gary Comenas: Jonas Mekas and the Film-Makers' Cinematheque cont., 2014, www.warholstars.org)

Der Filmemacher Steve Gebhardt und sein Partner Bill Fries drehten einen neunminütigen Film des Abreaktionspiels.

Bemerkenswert ist folgendes Detail: Nitschs Aktion in Cincinnati am 4. April begann unmittelbar nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. (durch den mehrfach vorbestraften James Earl Ray). Nitsch schreibt dazu: "Bevor ich anfing zu spielen, erzählte mir Jonas Mekas von Martin Luther King und fragte, ob ich sagen wolle, dass dies für ihn bestimmt ist. Für mich war der Tod von Martin Luther King so traurig. (Aber) für mich wäre es schlecht, diesen traurigen Vorfall mit meiner Arbeit zu verbinden. Aber ich wusste von dem Tod und in meinem Herzen war es da. Diese Aktion in Cincinnati war keine normale Aktion. Es war eine wirklich intensive Aktion."

Dokumente des Wiener Aktionismus in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek

Der Brief aus der Handschriftensammlung wurde gemeinsam mit 11 anderen Korrespondenzstücken und Aufsätzen im Konvolut angekauft. Darunter befinden sich Briefe von Rudolf Schwarzkogler, Hermann Nitsch und Günter Brus an Edith Adam, Texte bzw. Auflistungen von Hermann Nitsch zu verschiedenen Themen und ein Brief von Hermann Nitsch an den Künstler Raphael Montanez Ortiz betreffend einer Teilnahme am zweiten "Destruction in Art Symposium" in London am 10. September 1966. Dieses kunstgeschichtlich sehr wichtige Symposium thematisierte die Destruktionskunst erstmals als internationale Zeitströmung. Damals trat Yoko Ono auf, die ihre Performances auf europäischem Boden präsentierte. Initiator des Symposiums war der in Nürnberg geborene Künstler Gustav Metzger - Sohn jüdischer Eltern, die beide Opfer des Holocaust wurden.

Aus Anlass des 80. Geburtstags von Hermann Nitsch im August präsentiert das Nitsch Museum die Ausstellung "HERMANN NITSCH - Leben und Werk" mit umfassendem Begleitprogramm.

Literatur

Archiv der Objekte des Monats 2018:

Brief von Hermann Nitsch an Edith Adam, New York 1968, WBR, Handschriftensammlung, HIN-234045. [Nicht rechtefrei]
 

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