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Objekt des Monats April 2018: Zum 100. Todestag von Alexander Girardi

Brief an Paul Schlenther, WBR, HS, H.I.N.-248281

Zeitungsumfragen sind beinahe so alt wie das Medium selbst, und sie erfreuen sich noch heute großer Beliebtheit. Studiert man alte Nummern, so finden sich zahllose Beispiele solcher redaktionellen Rundsprüche. Bisweilen staunt man nicht schlecht darüber, wie hoch die Bereitschaft auch von prominentester Seite war, auf Fragen wie "Woran arbeiten Sie gerade?" zu reagieren. Am 22. Mai 1909 startete Ottokar Tann-Bergler, Redakteur des "Neuen Wiener Journals", offenbar sehr kurzfristig eine Umfrage anlässlich des vierzigsten Bühnenjubiläums von Schauspieler Alexander Girardi, der am 1. Juni 1869 erstmals auf den Brettern stand, die bekanntlich die Welt bedeuten. Hierfür ließ die Zeitung einen Umfragetext drucken und an Persönlichkeiten schicken, "deren Urteile und Mitteilungen über den grossen Künstler von Wichtigkeit sind". Die Zahl der dazu Berufenen sei recht klein, wie es weiter heißt, und man versicherte den derart Angesprochenen, "unbedingt zu Ihnen [!]" zu gehören. Die Antworten mögen bitte tunlichst bis zum 28. Mai 1909 vorliegen, denn man plane eine Pfingstfestnummer zu Ehren des Jubilars. Wie sehr dies alles mit der heißen Nadel gestrickt war, lässt sich auch daran erkennen, dass der Pfingstsonntag, der 30. Mai, unmittelbar vor der Tür stand.

Wie hoch die Auflage des Anschreibens und somit die Anzahl der Angeschriebenen war, ist leider unbekannt. Bekannt ist, dass noch 27 Antworten in den Originalhandschriften vorliegen – und damit nur eine weniger, als tatsächlich in besagter Pfingstnummer gedruckt wurden. Die Antworten fallen dabei ganz verschieden aus. Nur selten werden herkömmliche Briefe eingesandt, wie etwa von Pauline Fürstin von Metternich-Sándor, die daran erinnert, einst im privaten Kreis ein Duett mit Girardi zur Aufführung gebracht zu haben, begleitet von Theodor Billroth am Flügel (H.I.N. 248268). Der wie Girardi aus Graz stammende Kollege Willi Thaller war offenbar über die Anfrage nicht begeistert: "Jedwede Äußerung über angegebenes Thema ist für mich in Gegenwart u. Zukunft vollkommen ausgeschlossen." (H.I.N. 248275) Der um einige Jahre ältere Mime Franz Tewele bemerkte hingegen trocken: "Ich beneide meinen Collegen Girardi, weil er erst sein vierzigjähriges Jubiläum feiert." (H.I.N. 248276) Kein Wunder, denn er beging 1909 sein fünfzigstes Bühnenjubiläum.

Frau Johann Strauss – wie sich Adele Strauss im gedruckten Briefkopf stets bezeichnete – zog es vor, anstatt sich selbst zu äußern, im privaten Archiv des verstorbenen Gatten zu stöbern und einen Brief eigenhändig abzuschreiben, den Johann Strauss 1894 an Girardi gerichtet hatte (H.I.N. 248273). Der Komponist Edmund Eysler gab hingegen zu Protokoll: "Sie meinen wohl, weil ich soviel für Girardi geschrieben habe, wäre es mir ein Leichtes, über ihn zu schreiben." Doch wies er auf seine Profession hin: "Ja wenn ich’s componiren könnte, das wäre etwas anderes. Da empfinde ich ihn, seine große einzige Kunst; da inspirirt er mich, ja, da wirkt er suggestiv." (H.I.N. 248261) Franz Lehár war in seiner Replik weniger um Understatement bemüht: "Girardi ist für mich der grösste Künstler, wenn er in meinen Operetten auftritt." (H.I.N. 248265) Gleich zwei Herzen schlugen in der Brust des K. u. k. Hof- & Kammer-Klaviermachers Ludwig Bösendorfer, der mit dem Gefeierten nicht nur beruflich zu tun hatte: "Ich kann Ihnen heute noch immer nicht sagen, ob mir der Schwiegersohn Girardi oder der Schauspieler Girardi lieber ist." (H.I.N. 248260) Denn seit elf Jahren war Girardi in zweiter Ehe mit Bösendorfers Ziehtochter Leonie von Latinovicz verheiratet.

So mancher der Umfrageteilnehmer steuerte selbstgezimmerte Lyrik zum Jubelfeste bei. Julius von Stettenheim legte ein Gedicht mit dem Titel "Das Girardi-Theater" vor, eine dem Jubilar gewidmete "Hobellied-Strophe" retournierte Oscar Blumenthal. Der Wiener Journalist und Librettist Julius Bauer dichtete: "Streicht die Geigen, zupft die Harfen / singet dem Sorgenbrecher zur Lust / Unter Operetten-Larven / Ist er die einzig fühlende Brust!" (H.I.N. 248256) Aus Berlin schickte Bühnenautor Ludwig Fulda folgende weitgereiste Reime: "Wien und Girardi – beide sind untrennbar, / Sind beide aneinander erst erkennbar. / Wer diese zwei Begriffe irgendwie / zu trennen sucht nach gründlichem Versenken, / Muß Wien sich ohne den Girardi denken; / doch das geht über meine Phantasie." (H.I.N. 248262)

Am meisten Arbeit dürfte sich Hermann Bahr mit seiner Antwort gemacht haben, lieferte er doch einen veritablen Kurzessay ab, der nicht unkritisch mit dem Wiener Publikum umging. Schließlich sei allein in Girardi, so schreibt Bahr, "die alte Wiener Art, zu der sich die anderen forcieren müssen, noch in aller Unschuld da und wenn er spielt, wird das Verhältnis der Bühne zum Parterre vertauscht: denn wenn Girardi spielt, ist bei ihm auf der Bühne die Wirklichkeit und im Publikum ist der Schein." Bahr bescheinigt dem Publikum auch, von Girardi nur Couplets hören zu wollen, obwohl er diese gar nicht nötig hätte, um sein ganzes Talent auf die Bühne zu bringen. Girardi habe sich aber dagegen nie gewehrt: "Und dabei blieb es. Denn sich gegen Widerstand durch zu trotzen hatte auch dieser letzte Wiener nicht die Kraft." Und so kam es, wie es laut Bahr kommen musste: "Und dann haben sie ihn fortgeschickt. Für ihn war das ja sehr gut, denn erst von Berlin aus ist er berühmt geworden. Merkwürdig ist es aber eigentlich doch, dass man jetzt nach Berlin fahren muss, um den einzigen Wiener von der alten Art zu sehen, der noch übrig ist." (H.I.N. 248255)

Das überaus schöne Konvolut dieser Antworten konnte die Wienbibliothek im Dezember 2017 im Dorotheum ersteigern. Die kürzeste stammt vom damaligen Burgtheaterdirektor Paul Schlenther, der als einziger die Antwort auf dem originalen Rundfrageschreiben zurücksandte – und zwar als "Steckbrief" (H.I.N. 248281):

Vorname: Makedonisch
Familienname: Italienisch
Mensch: Wienerisch
Kunst: Klassisch

Der viel geachtete Alexander Girardi starb vor hundert Jahren, am 20. April 1918.

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