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Objekt des Monats Dezember 2022: Für ein gesundes Wien – die Allgemeine Poliklinik

Statuten der allgemeinen Poliklinik in Wien, Titelseite, 1873. Wienbibliothek im Rathaus, A-20604

Nur wenige Städte haben eine so geschichtsträchtige und enge Beziehung zur Medizin wie Wien. Bereits 1784 wurde hier das Allgemeine Krankenhaus, eine für die damalige Zeit beispiellose medizinische Anstalt eröffnet, welche keinen Menschen „von was immer für einer Nation und Religion er auch sein mag vom Eintritt ausgeschlossen werde.“ (Joseph von Quarin, Nachricht an das Publikum, über die Einrichtung des Hauptspitals in Wien, Wien 1784) Doch bereits wenige Jahrzehnte später konnten die kirchlichen und öffentlichen Spitäler die medizinische Versorgung der Gesamtbevölkerung alleine nicht mehr sicherstellen. Besonders mittellose Kranke waren davon betroffen. Durch die aufstrebende Industrialisierung im 19. Jahrhundert und die rege Bautätigkeit kamen nämlich immer mehr Fremdarbeiter*innen in die Stadt, um sich ihr Geld zu verdienen. Der Mangel an Wohnraum und der daraus resultierende Mietenwucher führten in den Gründerjahren zu immer stärkerer sozialer Ungleichheit und einer allmählichen Verelendung ganzer Gesellschaftsgruppen.

Um dieses soziale Elend zu mindern und den mittellosen Kranken unentgeltlich zu helfen, gründeten zwölf Privatärzte und Dozenten der Universität Wien vor 150 Jahren die Allgemeine Poliklinik. Neben der ärztlichen Tätigkeit standen dabei auch die Forschung und Weiterbildung außerhalb der Universitätskliniken im Vordergrund. Einerseits sollte die Lehre von den Krankheiten vor Ort am Krankenbett stattfinden, andererseits die Möglichkeit von Vorlesungen und Übungen gegeben sein. Ziel war es, kostenlos zu lehren, zu lernen und zu heilen. Die Kosten des Betriebes wurden zunächst von den Gründern selbst getragen, bis im Jahr 1875 ein Verein für die Finanzierung eingerichtet wurde.

Gründungskomitee:
Heinrich Auspitz (1835–1886), Dermatologe
Friedrich Ludwig Fleischmann (1841–1878), Kinderarzt
Jakob Hock (1831–1890), Ophthalmologe
Ignaz Neudörfer (1825–1898), Chirurg
Leopold Oser (1839–1910), Internist
August Leopold von Reuss (1841–1924), Ophthalmologe
Carl von Rokitansky (1804–1878), Gynäkologe
Emil Rollet (1835–1923), Internist
Johann Schnitzler (1835–1893), Internist und Laryngologe
Mathias Schwanda (1821–1885), Neurologe
Robert Ultzmann (1842–1889), Chirurg und Urologe
Wilhelm Winternitz (1834–1917), Internist und Hydrotherapeut

Wenige Monate später traten hinzu:
Alois Monti (1838–1909), Kinderkrankheiten
Viktor Urbantschitsch (1847–1921), Ohrenkrankheiten
Maximilian Leidesdorf (1816–1889), Gemüts- und Nervenkranke

Da sich das Spital anfänglich ausnahmslos von Spenden und privaten Zuwendungen unterhielt, legte der „Poliklinische Verein“ besonderen Wert auf eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz der Finanzgebarung. Dies machte den Verein auch in dieser Hinsicht zu einem Vorreiter und Vorbild für andere Organisationen. Sein hohes publizistisches Wirken kann auch heute noch in der Wienbibliothek im Rathaus eingesehen werden – beziehungsweise in unserer Digitalen Bibliothek. Dort liest man von den großen Erfolgen dieser Institution, die bei der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden in vielen Fachbereichen federführend war. 1893 bezog die Allgemeine Poliklinik ein neues Gebäude in der Mariannengasse, welches neben den Spitalsabteilungen und Ambulanzen auch eigene Hörsäle und bereits ab 1896 ein Röntgenkabinett enthielt. Rund 100 Jahre später wurde die Allgemeine Poliklinik letztendlich geschlossen, nachdem das umfassende Knowhow schon längst im System der Wiener Gemeindespitäler aufgegangen war.

Die wechselhafte Geschichte der Wiener Allgemeinen Poliklinik bietet bis heute ein geeignetes Beispiel sozialmedizinischen und wissenschaftlichen Wirkens, welches durch persönlichen und selbstlosen Einsatz zu einer international beachteten und vielfach nachgeahmten Institution führte.

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