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Objekt des Monats August 2022: Hugo Bettauer an Oskar Samek

Brief Der Tag (Hugo Bettauer) an Oskar Samek, 19.12.1922, ZPH 1545, Wienbibliothek im Rathaus

Keine Schulfreunde

Hugo Bettauer (1872-1925), dessen Geburtstag am 18. August zum 150. Mal wiederkehrt, stieß in seinem Leben mehrfach gehörig mit Karl Kraus (1874-1936) zusammen. Ihre alte Bekanntschaft seit den gemeinsamen Tagen am Franz-Josephs-Gymnasium im Wien stellte keineswegs ein Hindernis für spätere Kalamitäten dar. Der Brief Bettauers an Samek vom 19. Dezember 1922 stammt aus der umfangreichen Sammlung von Prozessakten Oskar Samek / Karl Kraus (ZPH 1545) aus den Handschriftenbeständen der Wienbibliothek im Rathaus. Er zeugt von einer dieser Auseinandersetzungen, die auch juristische Folgen hatte.

Aktionsradien eines Tausendsassas

Hugo Bettauer arbeitete als selbständiger Romanautor, verfasste Drehbücher und gab ein lebensreformerisches Magazin heraus.  Bettauers Wochenschrift rief aufgrund der liberalen und aufgeklärten Haltung zu Sexualität, Erotik, Geburtenkontrolle oder homosexuellen Lebensformen heftige Proteststürme konservativer Kreise hervor und kulminierte letztlich 1925 in der Ermordung Bettauers durch einen späteren Parteigänger der NSDAP. Hugo Bettauer wirkte überdies als Journalist in der Redaktion der linksliberalen Tageszeitung Der Tag, dessen Kulturberichterstattung er redaktionell betreute. Zahlreiche seiner Romane erschienen vor ihrem selbständigen Abdruck zunächst als Fortsetzungsroman in diesem Blatt.

Kraus contra Der Tag

Karl Kraus, der am Journalismus ohnehin kein gutes Haar ließ („Journaille“, „Pressmaffia“) und schon gar keine Literatur in Tageszeitungen lesen mochte, beauftragte seinen Freund und Anwalt Oskar Samek (1889-1959) schon gewohnheitsmäßig mit Berichtigungen falscher Angaben nach dem Pressegesetz beziehungsweise damit verbundenen Berichtigungsklagen, wenn eine Zeitung den Abdruck einer Berichtigung verweigerte.

Vorliegender Brief Bettauers, verfasst auf Briefpapier der Zeitung mit deren imposantem Logo, ist die Antwort auf eine von Oskar Samek vorgebrachte Aufforderung gemäß § 23 des Pressegesetzes, eine Berichtigung zum Artikel ‚Die letzte Nacht‘ von Karl Kraus vom 17. Dezember 1922 abzudrucken.

Stein des Anstoßes war für Kraus die unrichtige Behauptung, dass sein Theaterstück Die letzte Nacht gemeinsam mit einem Wedekind-Drama aufgeführt hätte werden sollen und dass es einen Streit um die Regie zwischen Oskar Wiener und Karl Forest gegeben habe – letzterer war zudem mit der Hauptrolle besetzt – da Kraus, so die juristische Implikation, mit zwei verschiedenen Personen in ein und derselben Sache unterschiedlich lautende Verträge abgeschlossen habe. Dies konnte der stets um Redlichkeit, Lauterkeit und sprachliche Präzision bemühte Kraus keinesfalls auf sich sitzen lassen und holte mit Sameks Hilfe zum Gegenschlag auf den verantwortlichen Redakteur aus.

Bettauer gibt nach

Hugo Bettauer ließ sich zwar nicht auf einen Prozess gegen Kraus ein, wobei notabene er gar nicht wusste, sondern nur ahnte, dass es sich beim Einschreiter um den streitbaren Literaten handelt, und stimmte eigenen Angaben zufolge „aus Bereitwilligkeit“ und „außerordentliche[r] Wertschätzung für Herrn Karl Kraus“ zu, die Berichtigung am 20. Dezember abzudrucken. Nicht verzichten konnte er aber, Oskar Samek seine Sichtweise darzulegen und dabei auf – aus juristischer Sicht wohl vermeintliche – formale Mängel hinzuweisen. Bettauer hätte offenbar zu gerne vom Anwalt selbst gelesen, wer der Einschreiter ist und auch eine Vollmacht dieser Person gesehen. Oskar Samek repliziert stehenden Fußes und macht die Einwände, die letztlich auch eine Spitze gegen Kraus hätten sein sollen, zunichte.

Slama und Der Tag

Der Graphiker Victor Theodor Slama (1890-1973) erarbeitete nicht nur das Logo für die Titelei der Zeitung und diverse Drucksorten wie für vorliegendes Briefpapier, er gestaltete in den 1920er Jahren zahlreiche Werbeplakate für das Blatt. Im Zentrum des gesamten von Slama entwickelten grafischen Auftritts steht der Schriftzug, der als Bild- und Wortmarke funktioniert: Auf der Bildebene erinnern die dynamische Schwünge der Buchstaben an sich ausrollende Papierrollen und Rotationsdruckmaschinen, der gesamte Ablauf vollzieht sich unter einem monumentalen „T“, das einerseits wie ein schützendes Dach, andererseits als Teil der Druckmaschinerie gelesen werden kann.

Quelle

  • Brigitte Stocker, Karl Kraus in der Sphäre des Rechts. Zur Bedeutung der Prozessakten der Kanzlei Oskar Samek. In: Geist versus Zeitgeist. Karl Kraus in der Ersten Republik. Wien: Metroverlag 2028, S. 126 ff

Weiterführende Information

Archiv der Objekte des Monats 2022