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Objekt des Monats Juli 2022: Ein doppeltes Jubiläum für die Wiener Pädagogik

150 Jahre Eugenie Schwarzwald & 100 Jahre Wiener Stadtschulrat

Eugenie Schwarzwald, [ca. 1925]. TF-009559 (links) und Otto Glöckel, 1935. TF-003375 (rechts), Wienbibliothek im Rathaus

Vor 150 Jahren, am 4. Juli 1872, wurde die bedeutendste österreichische Schulreformerin, Eugenie Schwarzwald (von ihren Freundinnen und Freunden Genia genannt) als Eugenie Nußbaum in Galizien geboren. Ihr Studienwunsch führte sie 1895 nach Zürich an die einzige Universität im deutschsprachigen Raum, wo Frauen zum Studium zugelassen waren. Schwarzwald wählte die Fächer Philosophie, Literatur und Pädagogik und promovierte im Sommer 1900.

Nach der Hochzeit mit ihrem Jugendfreund Hermann Schwarzwald ging das junge Ehepaar nach Wien, wo es auf eine Stadt im kulturellen, politischen und sozialen Umbruch traf. Architektur, Malerei und Musik entwickelten völlig neue Ästhetiken, traditionelle Hör- und Sehgewohnheiten wurden obsolet. Wien veränderte sich städtebaulich, neue Infrastrukturprojekte wurden realisiert, Massenparteien konnten sich etablieren und die Frauenbewegung meldete sich immer deutlicher zu Wort.

Eröffnung der Schwarzwaldschule

In Wien wandte sich Eugenie Schwarzwald ihrer lebenslangen Leidenschaft – der Pädagogik – zu. 1901 erwarb sie von Eleonore Jeiteles das Mädchenlyzeum am Franziskanerplatz 5 und erweiterte es schrittweise zu einem Schulzentrum. 1913 folgte die Übersiedelung in die Herrengasse 10. Die Genehmigung, eine Schule zu führen, erhielt Schwarzwald dabei nur provisorisch, denn ihr Studium berechtigte sie nicht, an Gymnasien zu unterrichten. Da ihre Zeugnisse bis 1905 immer noch nicht anerkannt waren, musste sie die offizielle Schulleitung schließlich abgeben. Tatsächlich waren die statt ihrer eingesetzten Männer aber nicht viel mehr als Strohmänner.

Bei der Rekrutierung des Lehrpersonals konnte Schwarzwald auf ihr breites Netzwerk zurückgreifen. So wurden die Schülerinnen und Schüler von namhaften Persönlichkeiten wie Oskar Kokoschka, Adolf Loos, Egon Wellesz, Hans Kelsen und Otto Rommel unterrichtet.

Die Prinzipien der Pädagogik Schwarzwalds, die mit Maria Montessori in Kontakt stand, waren Gewaltfreiheit und Kreativitätsförderung. Insbesondere die Förderung von Mädchen und jungen Frauen war ihr ein Anliegen. Für diese war die Schwarzwaldschule die erste Möglichkeit in Österreich zu maturieren. Über die Lehrinhalte und Projekte der Schule geben die Jahresberichte Auskunft. Hier ist nachzulesen, dass neben der klassischen humanistischen Bildung auch künstlerische Fächer einen wichtigen Stellenwert hatten.


Jahrbuch ... der Schulanstalten der Frau Dr. phil. Eugenie Schwarzwald in Wien (Stadt) ..., A-367744, Wienbibliothek im Rathaus

Reformpädagogische Ideen im Regelschulwesen

Neue Ansätze, wie sie unter anderem Eugenie Schwarzwald in ihrer Schule umsetzte, wurden mit der Berufung von Otto Glöckel als erstem Präsident des Wiener Stadtschulrates auf breitere Basis gestellt und institutionalisiert. Die Gründung eines eigenen Stadtschulrates für Wien (seit 2019 Bildungsdirektion für Wien) war durch die Trennung Wiens von Niederösterreich notwendig geworden und erfolgte heuer vor 100 Jahren, am 23. Februar 1922.

Otto Glöckel startete ein ehrgeiziges Reformprogramm, das zum Ziel hatte, möglichst viele reformpädagogische Ideen im Regelschulwesen zu implementieren. Ein wichtiger Ansatz dabei war die Demokratisierung des Bildungswesens. Glöckel begründete diese Forderung folgendermaßen:

"Die Demokratie kann nur gedeihen, wenn die Massen des Volkes eine möglichst wertvolle Bildung in der Schule erhalten; der verstümmelte Staat Österreich kann über die nächste Zeit nur hinwegkommen, wenn alle im Volke schlummernden Fähigkeiten geweckt und zur Entfaltung gebracht werden…! Daher Abbau und endliche Abschaffung des Bildungsprivilegs und methodisch selbständiges Arbeiten."[1]


Die österreichische Schulreform : einige Feststellungen im Kampfe gegen die Schulverderber, A-69875, Wienbibliothek im Rathaus

Einige reformpädagogische Forderungen wie, den Unterricht fächerübergreifend zu gestalten und daher den Stundenplan aufzulösen oder die gemeinsame Unterstufe für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen, waren vor 100 Jahre extrem progressiv und sind bis heute nicht flächendeckend umgesetzt.

Gründung des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien

Die Reformation des Schulwesens erforderte auch, die Lehrerinnen und Lehrer, die in ihrer tagtäglichen Arbeit die neuen pädagogischen Konzepte umzusetzen hatten, entsprechend zu schulen. Zur Aus- und Weiterbildung des Lehrpersonals eröffnete Otto Glöckel am 13. Jänner 1923 das Pädagogische Institut der Stadt Wien. Zum Leiter wurde Viktor Fadrus bestellt. Wie groß die Schnittmenge der Pädagogik Schwarzwalds mit der Reformpädagogik des Roten Wien war, erkennt man auch daran, dass Lehrpersonen wie Egon Wellez oder Otto Rommel sowohl in der Schwarzwaldschule als auch im Pädagogischen Institut tätig waren.

Mit der Umstellung der Ausbildung von Pflichtschullehrerinnen und -lehrern auf Hochschulbetrieb wurde die Institution 2007 geschlossen und die Bestände der Zentralbücherei von der Wienbibliothek im Rathaus übernommen.

[1] Otto Glöckel: Die österreichische Schulreform. Einige Feststellungen im Kampfe gegen die Schulverderber. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 1923, S. 10

Quellen und weiterführende Literatur

Archiv der Objekte des Monats 2022