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Objekt des Monats Oktober 2022: „Vorwärts!“ - von Paris über die USA nach Wien

Vorwärts! Pariser deutsche Monatsschrift. Paris: Bureau Central pour l’Allemagne 1844. C-22008, Wienbibliothek im Rathaus

 

Als Heinrich Börnstein (1805-1892), Herausgeber unseres Objekts des Monats, der revolutionären, deutschsprachigen Zeitung „Vorwärts“ (Paris, 1844), im Herbst 1889 sein Privatexemplar der damaligen Wiener Stadtbibliothek widmete, war er sich der bibliographischen Rarität und der außerordentlichen historischen Bedeutung des Bandes sehr wohl bewusst. Was er aber offenkundig nicht zu wissen schien, war, dass auch die Pariser „Bibliothèque Royale“ (heute Bibliothèque nationale de France) ein Exemplar verwahrte, in dem alle Nummern der zweimal wöchentlich erschienenen Zeitung enthalten waren: vielleicht jenes Exemplar, das den königlich-französischen Behörden letztlich den Grund zum Verbot der Zeitung und zur Ausweisung zahlreicher ihrer Redakteure lieferte.

 

„Dieser complete Jahrgang des Pariser „Vorwärts“ ist wohl ein bibliographisches Unicum u. daher würdig in der Wr. städt. Bibliothek für spätere Zeiten aufbewahrt zu werden.“

„Thue Recht und scheue Niemand!“

Im Gegensatz zum Exemplar der Bibliothèque nationale, das auch Grundlage für die Mikroverfilmung und einen Reprint (1975) war, fehlt dem Exemplar der Wienbibliothek im Rathaus der Prospekt mit dem Aufruf zum Abonnement vom November 1843, in dem die Redaktion unter anderem ihr mutiges Motto formulierte: „Thue Recht und scheue Niemand!“. Außerdem fehlen dem Exemplar Börnsteins die Zeitungsstempel, die zur Kontrolle der korrekt abgelieferten Gebühren erforderlich waren. Andererseits tragen die ersten neun Nummern den Aufdruck „Épreuve“, was das Exemplar Börnsteins zur Besonderheit macht: Es handelt sich um Probenummern, die für die Redaktion bestimmt waren und nie in den Handel gelangten (eine Ausnahme stellt nur die Nummer 4 vom 18. Januar 1844 dar, die Börnstein offensichtlich durch ein angekauftes Exemplar ergänzte). Der Jahrgangsband aus Börnsteins Besitz weist zudem starke Benützungsspuren auf: Das Deckblatt der ersten Nummer und mehrere weitere Seiten sind stark beschädigt, ein Wasserrand zieht sich durch den gesamten unteren Teil des Buchblocks. Der Band hatte, wie wir noch sehen werden, genau wie sein Besitzer nach 1844 noch ein bewegtes Leben vor sich.

Heine und Marx in Paris

Die Bedeutung des Pariser „Vorwärts!“ für die Entwicklung demokratischer Ideen und insbesondere auch des Kommunismus in Deutschland ist unbestritten. Mitfinanziert von dem Komponisten Giacomo Meyerbeer, arbeiteten neben den Herausgebern Heinrich Börnstein und Adelbert von Bornstedt sowie dem Redakteur Karl Ludwig Bernays noch zahlreiche weitere deutsche Exilschriftsteller in der Redaktion mit, wie etwa der liberale Arnold Ruge, Karl Marx oder auch Heinrich Heine, dessen satirisches Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (Nr. 85, 23. Okt. 1844 – Nr. 96, 30. Nov. 1844) oder auch sein anlässlich des schlesischen Weberaufstandes entstandenes „Weberlied“ (Nr. 55, 10. Juli 1844) hier erstmals erschienen. In der Folge dieses Weberaufstandes (Juni 1844) kam es über den Sommer 1844 zu einer deutlichen Radikalisierung der Zeitung. Die Gruppe um Marx setzte sich innerhalb der Redaktion immer mehr durch, womit das Blatt bis zu seinem Verbot zu Jahresbeginn 1845 zu einem zentralen Sprachrohr der frühen Kommunistinnen und Kommunisten wurde. Die Spitzen der Redaktion richteten sich gegen die restriktiv antidemokratische Politik in Deutschland, besonders gegen Preußen. Von dort kam letztlich auch der Impuls, die Zeitung nach zahlreichen Beschwerden zu verbieten und mehrere der Redakteure auszuweisen.

Von Paris über die USA nach Wien

Wie aber kommt es, dass dieses frühe sozialistische „Unicum“, das auf den ersten Blick so gar nichts mit Wien zu tun zu haben scheint, ausgerechnet in die Wiener Stadtbibliothek, die heutige Wienbibliothek im Rathaus, gelangte?

„Vorwärts!“ war nicht nur der Titel der Pariser Wochenzeitung, es war und blieb auch das Lebensmotto ihres Herausgebers Börnstein. 1805 in Hamburg geboren, war er in Lemberg aufgewachsen, um nach dem Studium der Medizin und dem Dienst in der österreichischen Armee nach Wien zu gehen, wo er als Journalist und Theatermanager arbeitete. Über Intendanzen in zahlreichen Theatern der Monarchie gelangte er schließlich 1842 an die deutsche und italienische Oper in Paris, wo er mit seinen „Deutsch-französischen Jahrbüchern“ (1844) und dem „Vorwärts!“ (1844) zu einem Kristallisationspunkt der deutschsprachigen demokratischen Emigration wurde.

Mit der Revolution 1848 und der Restauration gingen auch Börnsteins Pariser Jahre zu Ende. Zusammen mit ihm und seiner Familie trat auch unser Objekt des Monats eine abenteuerliche Reise quer über den Atlantik an. Am 8. April 1849 landete die Familie Börnstein in New Orleans, gelangte über Illinois schließlich nach St. Louis (Missouri). Hier stand unser Band in den Bücherregalen, während sich sein Herausgeber als Zeitungsmacher profilierte, das örtliche Varieté-Theater zur Oper ausbaute und schließlich 1861 in den Sezessionskrieg eintrat, um im Range eines Colonel die Eroberung der Hauptstadt Jefferson City zu befehligen. 1862 von Lincoln zum US-Konsul in Bremen ernannt, überquerte Börnstein mit Kind, Kegel und unserem Objekt des Monats erneut den Atlantik. Begleitet von reger Reisetätigkeit kehrte Börnstein schließlich als Theaterdirektor an seine erste Wirkungsstätte, Wien, zurück, wo er auch seine Autobiographie verfasste und die letzten Lebensjahre verbrachte. Im Alter von 84 Jahren, drei Jahre vor seinem Tod, trennte er sich schließlich vom Privatexemplar seines „Vorwärts!“, dessen Patina sich vielleicht dadurch erklärt, dass es ihm über 40 Jahre lang von einer Lebensstation zur nächsten gefolgt war.

Quellen

Link in die Wienbibliothek Digital

Archiv der Objekte des Monats 2022