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Objekt des Monats Oktober 2014: Rudolf Kristen imaginiert einen heißen Draht ins Bürgermeisterbüro
Die Karikatur, die der Gefreite Rudolf Kristen (1889–1946) vom k. u. k. Infanterie-Regiment Nr. 4 "Hoch- und Deutschmeister" am 19. Januar 1915 an den Bürgermeister der Stadt Wien, Richard Weiskirchner (1861–1926), schickte, steht für den Wunsch nach einer einfachen und schnellen Kommunikation von der Front ins Hinterland. Man sieht einen Soldaten mit dem Hörer eines Telefons in der Hand, den Wandapparat vor sich. Der Fernsprecher befindet sich in einem Unterstand, der unter Artilleriebeschuss steht, was sich unschwer am zerplatzenden Geschoss erkennen lässt. Vom Telefon weg läuft auf verschlungenen Pfaden und mit viel Improvisation – man beachte die Astgabel als Behelfsmast links oberhalb des Datums – die Leitung direkt ins Wiener Rathaus. Man könnte meinen, die Soldaten der Wiener Eliteeinheit "Hoch- und Deutschmeister" hätten sich "aus weiter Ferne" gerne mündlich bei Exzellenz Weiskirchner für die reichlich übersandten Liebesgaben bedankt, um sich den vorliegenden schriftlichen Kartengruß zu sparen.
Freilich brachte das Netz von Feldtelefonen keineswegs die Qualität mit, um eine solche Unterhaltung auch praktisch zu ermöglichen. Vielmehr waren die Fernmeldeeinheiten kaum in der Lage, den mit Kriegsverlauf immer mehr anwachsenden Kommunikationsbedarf in den Kampfzonen zu gewährleisten. Die Telefone waren nicht nur störungsanfällig und technisch in den Kinderschuhen, sondern die sowohl erdnah wie auch überirdisch verlegten Leitungen fielen schnell dem feindlichen Beschuss oder Sabotageakten zum Opfer.
Karikaturen für die Witwen- und Waisenstiftung
Bei dem am Telefon stehenden Soldaten handelt es sich übrigens um ein Selbstporträt des Karikaturisten Rudolf Kristen. Der hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg ein kleines Zubrot mit selbstgemalten Postkarten verdient. Einen Namen machte sich Kristen dann aber mit seinen teils außerordentlich kritischen Zeichnungen von der Front, von denen knapp hundert in der "Illustrierten Kronen-Zeitung" erschienen sind. Seit 1917 wurden die von Kristen gezeichneten Karten massenhaft produziert, der Erlös kam der "Deutschmeister Witwen- und Waisenstiftung" zugute.
Weitere Informationen
- Ausstellung "'Es ist Frühling, und ich lebe noch'. Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs in Infinitiven"
- Blog "Wien im Ersten Weltkrieg"
Archiv der Objekte des Monats 2014
- September 2014: Kasperl träumt von Liebe und Apfelstrudel
- August 2014: Stefan Zweig schickt eine Karte aus Przemysl
- Juli 2014: Theaterspielen als Seelenbalsam
- Juni 2014: Louis Treumann posiert im Land der Skipetaren
- Mai 2014: Musikdruck "Rosa, wir fahren nach Lodz!"
- April 2014: Karl Kraus. Aus eigenen Schriften
- März 2014: Wir spielen Weltkrieg
- Februar 2014: Wiener Kriegsausstellung
- Jänner 2014: Birkenrindenbriefe an den Bürgermeister