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Neu in der Benützung: Teilnachlass Fritz Hochwälder (ZPH 1769)

Fritz Hochwälder freut sich auf sein Frühstück, Ascona 1948, ZPH 1769, WBR

Nach rund fünf Monaten hatte Fritz Hochwälder genug gesehen von Hitlers Wien. Mit der Bahn machte er sich auf nach Vorarlberg. Von Feldkirch ging es am 18. August 1938 nach Hohenems. Mit kleinem Gepäck, als Tourist getarnt, konnte er den Bahnhof verlassen. Dann kam, wie sich Hochwälders Witwe Susanne in einem Brief erinnert, „die Flussüberquerung, mehr gehend als schwimmend, denn das hat er nie gelernt, das Bündel seiner Habseligkeiten auf dem Kopf“. Kontrolliert wurde er sicher nicht, denn Hochwälder führte eine lückenlose Dokumentation seiner Berufsausbildung als Tapezierer mit sich, neben etlichen Zeugnissen seinen Gesellenbrief und den großformatigen Meisterbrief von der Wiener Tapezierer-Innung vom 3. Juni 1937. Derlei Papiere trägt man ohne längerfristige Ausreisepläne nicht spazieren. Auch das Typoskript seiner einzigen, erst 1995 erschienenen Prosaarbeit „Donnerstag“ soll sich bei Hochwälders sieben Sachen befunden haben, mit denen er den Rhein überwand. Die erwähnten Devotionalien zählen zum Wiener Nachlass des geflohenen Dichters, der selbst allerdings nie auf Dauer in seine Heimatstadt zurückkehren wollte, wo er seine Eltern Therese und Leonard Hochwälder zurücklassen musste. Beide wurden am 20. Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert und sechs Tage später ermordet. Für Hochwälder ging es 1941/42 in ein eidgenössisches Internierungslager. Er blieb in der Schweiz und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1986 in Zürich.

Mit seinem Testament vom 25. November 1977 verfügte Hochwälder, dass sein Nachlass an die Wiener Stadt- und Landesbibliothek gehen solle. Seine Verbindungen nach Wien waren vielfältig, vor allem zum späteren Kulturstadtrat und nachmaligen Bürgermeister Helmut Zilk. Im Jahr 1988 gelangte ein erster wesentlicher Teil nach Wien, der vor allem das bedeutende literarische Werk sowie Korrespondenzen und Lebensdokumente umfasste (ZPH 678). Von weiteren Papieren, aber insbesondere von der Bibliothek des Dichters, die ebenfalls für die nunmehrige Wienbibliothek im Rathaus vorgesehen waren, wollte sich Susanne Hochwälder jedoch erst trennen, als sie die gemeinsame Wohnung, in der sie seit Anfang der 1960er Jahre gelebt hatte, aus Altersgründen verließ.

Der zweite Teilnachlass von Fritz Hochwälder (ZPH 1769) besticht vor allem durch seinen einzigartigen Korrespondenzbestand, der knapp 10.000 Briefe an Hochwälder von rund 800 Schreiberinnen und Schreibern zu bieten hat, so von H. G. Adler, E. B. Ashton, Fritz Brainin, Dino Buzzati, Elias Canetti, F. T. Csokor, Tankred Dorst, Gottfried von Einem, Paul Flora, Michael Guttenbrunner, Brigitte und Günther Hamann, Robert Jungk, Annette Kolb, Wolfgang Kraus, Leopold Lindtberg, Manfred von Mautner Markhof, Hertha Pauli, Wladimir Rosenbaum, Cornelius Schnauber, Manès Sperber, Hilde Spiel, Joseph Peter Strelka, Lotte Tobisch, Friedrich Torberg, Cilli Wang, Hans Weigel, Ulrich Weinzierl, Fritz und Lucy Wotruba oder Carl Zuckmayer. Enge persönliche Freunde sowie Weggefährten des Exils wie der Dramaturg Kurt Besci, der Soziologe René König, der Literaturwissenschaftler Hugo F. Königsgarten, der Regisseur Peter Lotar, der Dirigent und Musikwissenschaftler Kurt Pahlen oder der Historiker und Publizist Jean Rudolf von Salis sind mit teils sehr umfänglichen Korrespondenzen vertreten. Das gilt auch für die global agierenden Literaturvermittler und Übersetzer, die Hochwälders Stücke auf allen Kontinenten in vielen Sprachen der Welt populär und deren Urheber zum international gefeierten Theaterautor machten, wie Brigída Alexander (1911–1995), Italo Alighiero Chiusano (1926–1995), Annamaria Fama, Miguel Flürscheim Tromer (geb. 1905), Jacques Gueritat (1914–1977), Konrado Hausdorff Koch, Guillermo (Willy) Knepler (1899–1987), Robert Lantz (1914–2007), James Schmitt und Richard Thieberger (1913–2003). Letzterer war ein Wiener Schulfreund Hochwälders, der in Nizza lebte und viele seiner Texte ins Französische übersetzte. Umfängliche Konvolute mit Korrespondenzen gibt es auch von Verlagen wie Felix Bloch Erben, Langen Müller, Pero, Reiss und Styria im deutschsprachigen Raum oder von bedeutenden Häusern wie Christopher Mann und Samuel French im angloamerikanischen Bereich. Natürlich befinden sich auch Briefe von Granden der deutschsprachigen und internationalen Bühnen im Bestand, etwa von Boleslaw Barlog, Achim Benning, Harry Buckwitz, Erhard Buschbeck, Ernst Haeusserman, Kurt Hirschfeld, Kurt Horwitz und Oskar Wälterlin – nicht zuletzt auch von Martin Magner (New York, Los Angeles) und Ingmar Bergman (Stockholm).

Im Übrigen liegen oft Korrespondenzen im eigentlichen Wortsinn vor, da Hochwälder von einer Vielzahl seiner Briefe Durchschläge aufbewahrt hat, insgesamt handelt es sich um etwa 2500 Briefe an knapp 400 Adressatinnen und Adressaten. Ähnliches gilt auch für die Briefschaften von Susanne Hochwälder, deren Korrespondenz etwa 4000 Schreiben umfassen dürfte, von rund 260 Schreiberinnen und Schreibern an sie bzw. an circa 250 Adressatinnen und Adressaten von ihr. Darin geht es vielfach um die Rechteverwaltung und Werkbetreuung des verstorbenen Mannes, mit Briefpartnerinnen und -partnern wie Brita Eckert, Dietmar Grieser, Matthias Hartmann, Konstantin Kaiser, Werner Morlang, Felix Mitterer, Günther Nenning, Claus Peymann und Peter Turrini. Besonders hervorzuheben ist der briefliche Austausch mit den Offiziellen der Wiener Stadt- und Landesbibliothek zur Übernahme des Nachlasses sowie eine spannende Mappe zum Hollywood-Film „The Mission“, der 1986 in die Kinos kam und in dessen Hauptrollen Jeremy Irons, Liam Neeson und Robert De Niro zu sehen waren. Noch zu Lebzeiten Hochwälders war die Frage aufgekommen, ob sich das Drehbuch von Robert Bolt, der dafür immerhin den Golden Globe gewann, nicht allzu sehr an dem Erfolgsstück „Das Heilige Experiment“ aus Hochwälders Feder orientiert hatte. Auch einer der Produzenten des Films, David Puttnam, der bis dahin Streifen wie „Chariots of Fire“ (1981) und „Local Hero“ (1983) produziert hatte, nahm in dieser Angelegenheit Anfang 1986 Kontakt mit Hochwälders britischem Agenten Robin Lowe auf.

Im Bereich der Lebensdokumente stechen vor allem die zahlreichen Fotografien heraus, die Leben und Werk dokumentieren, sowie Dutzende Verträge und Vereinbarungen zu Werk- und Verwertungsrechten. Anhand von Abrechnungen und Steuerunterlagen erhält man zudem interessante wirtschaftliche Einblicke in das Auskommen eines erfolgreichen Global Players auf Theaterbühnen. Hochwälder war es beispielsweise möglich, den Erben seines Idols Georg Kaiser, den er im Schweizer Exil kennengelernt hatte, jahrzehntelang einen namhaften Anteil seiner Einkünfte zu überweisen. So geht etwa aus einer Abrechnung von Felix Bloch Erben hervor, dass Hochwälder 1955 20% der Einnahmen aus Skandinavien den Hinterbliebenen Kaisers zukommen ließ – was in nackten Zahlen tatsächlich über 2.000 CHF ausmachte, eine stolze Summe.

Auch über Susanne Hochwälder, die mehr als zwei Jahrzehnte jüngere Frau des Dramatikers, erfährt man aus den Lebensdokumenten das eine oder andere Detail, vor allem im Hinblick auf ihren familiären Hintergrund (ihr Vater, der Wiener Rechtsanwalt Karl Schreiner, war ein Patenkind von Karl Lueger) und ihre berufliche Ausbildung und Tätigkeit in der Werbung als Texterin und Grafikerin, vor allem bei den Firmen Maggi und Nestlé. Für das Produkt Hamol Ultra gestaltete sie 1954 einen Folder für eine Sonnencreme – mit dem Bergsteiger Herbert Tichy als Testimonial. In die Rolle der „Nescafé-Sekretärin“ schlüpfte sie derweil selbst. Nach ihrer Heirat mit Fritz Hochwälder 1960 gab sie ihren Beruf jedoch auf.


Susanne Hochwälder wirbt für Nescafé

Hochwälder starb, als die Wiener Symphoniker in Zürich spielten. Er hatte mit seiner Frau zu den Ehrengästen gezählt, sie jedoch alleine hingeschickt, weil ihm unwohl war. Nach Hause zurückgekehrt, fand Susanne Hochwälder ihren verstorbenen Mann mit seiner letzten Lektüre vor – „Existiert Gott?“ von Hans Küng. „Dein Brief und der Bericht vom Ende unseres Fritzl hat mich tief bewegt“, schreibt Hilde Spiel der Witwe am 24. November 1986. „Wäre einem doch auch ein so friedliches Hinübergleiten vergönnt.“

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