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Objekt des Monats April 2014: Karl Kraus. Aus eigenen Schriften
Am Sonntag, dem 29. April 1934 wurde im Schwedenkino, Wien II., Taborstraße 1, der 60. Geburtstag von Karl Kraus gefeiert. Ein Höhepunkt der Matinee war die erstmalige Vorführung des etwa 17 Minuten langen Originaltonfilms "Karl Kraus. Aus eigenen Schriften". Der Film zeigt Kraus als Vorleser – als solcher hatte er in Europa seit 1910 Konzertsäle gefüllt und einen gewissen Kultstatus genossen. In seinem üblichen Setting – vor schwarz gehaltenem Hintergrund, an einem schlichten Tisch – liest Kraus darin vier Texte: "Zum ewigen Frieden", "Die Raben", "Reklamefahrten zur Hölle" und "Weg damit".
Dieser Film ist in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit: Zum einen war unautorisiertes Fotografieren bei Kraus’ Vorlesungen streng untersagt und es gibt daher generell nur wenig Material, das bildlich einen Eindruck vom Vorleser Kraus vermittelt. Zum anderen wird in diesem Film Kraus’ erste und einzige Interaktion mit dem neuen Medium Tonfilm dokumentiert. Kraus war bekannt dafür, dem technischen Fortschritt kritisch gegenüberzustehen und zugleich hoch interessiert daran zu sein. Nicht zuletzt entstand der Film in einer politisch angespannten Situation, nämlich nur wenige Wochen nach den niedergeschlagenen Februarkämpfen der österreichischen Arbeiterschaft. Kraus hatte eben seine Arbeit an der "Dritten Walpurgisnacht" – einer erst posthum veröffentlichten scharfen Analyse des nationalsozialistischen Deutschlands – beendet. Nun rang er nach den neuesten Ereignissen damit, seine "Stellung in Zeitdingen" für die nächste "Fackel" nochmals neu zu formulieren.
Es gibt kaum Äußerungen dazu, wie und unter welchen Umständen die Dreharbeiten in der Prag-Paris-Filmgesellschaft in Prag abliefen. Wahrscheinlich hatte der Architekt Karl Jaray (1878–1947), ein Freund der späten Jahre, Kraus dazu überredet, die "Sprachgewalt der K'schen Rede" der Nachwelt zu erhalten. Jedenfalls finanzierte Jaray den Film. Kraus selbst hatte 1932 bedauert, dass der Tonfilm zu spät gekommen war, um die von ihm verehrten Schauspieler des "alten Burgtheaters" in "Stimme und Schritt" zu überliefern – auch das mag ein Impuls dafür gewesen sein, selbst vor die Kamera zu treten.
Als Aufnahmeleiter wurde der in Brünn geborene Regisseur Albrecht Viktor Blum (1888–1959) engagiert. Blum war erst wenige Monate zuvor im Jahr 1933 aus Deutschland in die Tschechoslowakei geflohen. Dort hatte er u.a. mit Erwin Piscator, Bela Balázs und Ioris Ivens gearbeitet und sich als technisch und stilistisch versierter Filmemacher profiliert. Kraus und Jaray dürften allerdings an filmtechnischen Ausdrucksmitteln, an besonderen Aufnahme- und Montagetechniken, gar nicht interessiert gewesen sein. Ihnen ging es anscheinend allein um die dokumentarische Aufzeichnung von Kraus’ sprachkünstlerischer Darbietung und so blieb es bei einem einfachen Mitschnitt des lesenden Kraus, der offenbar auch kaum überarbeitet wurde.
Aus heutiger Perspektive macht diese technische "Naivität" den Film aber umso attraktiver. Die kurzen Momente, in denen Karl Kraus etwas angespannt in die Kamera blickt, bevor er zu lesen beginnt, bringen ihn erstaunlich nahe. Sein Pathos und seine Expressivität – die beim hier ausgewählten Vortrag des Gedichtes "Die Raben" besonders auffällig werden – mögen nach heutigen Maßstäben befremdlich wirken, sind aber gerade dadurch sehr eindrücklich. Insgesamt bietet dieser Tonfilm von 1934, der in der Wienbibliothek nun auch digital zur Verfügung steht, einen einzigartigen Einblick in Kraus’ Vortragstätigkeit, die 700 Vorlesungen in etwa 25 Jahren umfasste und nicht nur als wesentlicher Bestandteil des Wiener Kulturlebens von der Forschung immer noch vernachlässigt wird.
Quellen
- Brigitte Stocker, Rhetorik eines Protagonisten gegen die Zeit. Karl Kraus als Redner in den Vorlesungen 1919 bis 1932, Wien/Berlin 2013.
- Friedrich Pfäfflin, Karl Kraus: eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach, 8.Mai - 31.Oktober 1999 / [Ausstellung u. Katalog: Friedrich Pfäfflin u. Eva Dambacher in Zsarb. mit Volker Kahmen], Marbach am Neckar , 1999 (= Marbacher Kataloge, 52), Beih. 5: Karl Kraus. Aus eigenen Schriften. Tonfilm aus dem Jahre 1934.
Archiv der Objekte des Monats 2014
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