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Doppelnachlass Hugo Adolf und Emmy Bernatzik

Hugo Bernatzik

Seit April 2012 ist der im Jahr 2009 aus Familienbesitz übernommene Doppelnachlass (ZPH 1451) des Wiener Ethnologenehepaars Hugo Adolf und Emmy Bernatzik benützbar. In den über 40 Boxen des Bestands findet sich vergleichsweise wenig Material zum umfänglichen schriftstellerischen Werk beider. Betrachtet man die eindrückliche Liste der erschienenen Monographien, so ist keiner der berühmten Titel wie "Zwischen Weißem Nil und Belgisch Kongo" (Wien 1929), "Gari Gari" (Wien 1930), "Südsee" (Leipzig 1934), "Lappland" (Wien 1935), "Owa Raha" (Wien, Leipzig, Olten 1936) oder "Der Geist der gelben Blätter" (München 1938) mit Manu- oder Typoskripten vertreten. Allerdings zeigen die 65 Aufsätze und Vorträge von Hugo Adolf sowie 47 unselbständige Beiträge von Emmy Bernatzik, die in den unterschiedlichsten Fassungen überliefert sind, wie intensiv beide ihre Reisen in die Ferne publizistisch auszuwerten wussten. Ein herber Verlust für den Bestand ist zweifelsfrei auch, dass das einst überaus große Fotoarchiv bereits vor vielen Jahren aus Privathand in den Handel gegeben wurde und heute nicht mehr als solches nachweisbar ist.

über zehntausend Briefe

Die kaum zu überschätzende Bedeutung des Bernatzik-Nachlasses liegt in seiner enormen Briefhaltigkeit – wohl mehr als 10.000 Schreiben von und an 852 individuelle und 699 institutionelle Korrespondenzpartner spiegeln die erstaunliche Vernetzung Hugo Adolf Bernatziks wider, ganz gleich, ob in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Er war ganz offensichtlich ein begnadeter Netzwerker. Als Ethnologe stand er im Austausch mit vielen berühmten Fachkollegen im deutschsprachigen Raum, wie Leo Frobenius, Paul Schebesta, Bernhard Struck, Ewald Volhard und Diedrich Westermann. Auch die internationalen Stars der Szene wie Edward Evan Evans-Pritchard, Michel Leiris, Bronislaw Malinowski oder Charles Gabriel Seligman sind mit Briefen vertreten. Als Fotograf stand er in Verbindung mit den Kolleginnen Edith Barakovich (seit 1939 verschollen), Maria Eisner (Mitbegründerin von Magnum Photos), Lotte Errell (Reisefotografin), Lotte Meitner-Graf (geflohen nach England) und Dora Tänzer. Überhaupt findet sich viel Prominenz. Die Literatur ist mit Otto Basil und Otto Stoessl vertreten. Mit der Psychologin Charlotte Bühler stand er genauso in Kontakt wie mit Konrad Lorenz, es finden sich Briefe des Rechtsanwalts Emil von Hofmannsthal (einem Cousin von Hugo von Hofmannsthal) oder von Josef Hoffmann, von dem auch eine Skizze für ein Fauteuil erhalten ist. Ein besonderer Briefwechsel ist jener mit der 2007 im 100. Lebensjahr verstorbenen Fliegerin Elly Beinhorn, die mit Bernatzik auf einer Westafrika-Expedition im Jahre 1930 so manches luftige Abenteuer bestanden hatte. Überhaupt lässt sich aus der Korrespondenz vieles lernen, etwa wie das Forscherehepaar die unbezahlbaren Expeditionen vorbereitete. Hugo Adolf Bernatzik war ein Pionier auf dem Gebiet des Sponsorings – so hatte er beste Kontakte zu Firmen wie Carl Zeiss Jena, von der er die gesamte Fotoausrüstung erhielt (als Gegenleistung verfasste er den im Nachlass erhaltenen Text "Photographieren in den Tropen" für die Werkszeitung). Neben Zelten und Booten organisierte er so Kleidung, Motorisierung und Nahrung – etwa von den Ersten Deutschen Knäckebrot-Werken in Berlin.

enge Kontakte mit dem nationalsozialistischen Machtapparat

Das Studium der Korrespondenz Bernatziks belegt aber vor allem eins: Das erschreckende Ausmaß seiner Verstrickung während der nationalsozialistischen Herrschaft, sowohl in wissenschaftlicher wie auch in politischer Hinsicht. Von den Ethnologen und Anthropologen war es nicht weit hin zu den vermessenden Rasseforschern wie Eugen Fischer, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin, die dem NS-Mordprogramm mit ihren so kruden wie fragwürdigen Thesen den Weg bereiteten. Mit ihm korrespondierte Bernatzik genauso wie mit dessen früherem Assistenten Egon von Eickstedt, der für das Reichssippenamt "Abstammungsgutachten" verfasste, um in strittigen Fällen darüber zu entscheiden, ob es sich bei Menschen – so die Nazi-Diktion – um "Juden, Halb- oder Vierteljuden" handelt. Eickstedt gehörte zu Bernatziks Mitarbeiterstab beim Afrika-Handbuch. Verstörend ist der Brief einer Rassenforscherin. Eva Justin suchte die Verbindung zu Bernatzik im Rahmen ihrer Dissertation "Lebensschicksale artfremd erzogener Zigeunerkinder und ihrer Nachkommen". Ihr "Untersuchungsgut" – 39 Sinti-Kinder – wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Bernatzik hatte zudem enge Kontakte zum SS-Ahnenerbe, was sich in den Korrespondenzen mit Ernst Schäfer, Wolfram Siewers, Eduard Paul Tratz und Walther Wüst manifestiert. Auch seine politischen Verbindungen reichten bis in die innersten Zirkel des nationalsozialistischen Machtapparats.

Eine merkwürdige Beziehung scheint Bernatzik mit Gottlob Berger, seines Zeichens SS-Obergruppenführer und Leiter des SS-Hauptamts, unterhalten zu haben. Jedenfalls freute er sich mit dem damaligen Brigadeführer nach der erfolgreichen Beendigung des Balkan-Feldzugs. Am 21. April 1941 schrieb Bernatzik: "Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch zu der phantastischen Leistung der Waffen-SS in Belgrad entgegen." Nach dieser Heldentat bediente sich Bernatzik in seinen Briefen der Anrede "Mein Gruppenführer!" und lud denselben im Sommer 1942 zur Jagd in sein Haus am Wocheiner See ein: "Merken Sie sich weiter vor, dass die beste Brunftzeit für Gams zwischen 4. und 14. November ist und Sie in dieser Zeit ohne Schwierigkeit am Besten zum Schuss kommen. Die Partisanenkämpfe nehmen langsam ab, obwohl verschiedentlich noch Ueberfälle im Lande erfolgen. Ganz zu Ende gehen wird die Sache wohl erst, wenn Russland niedergerungen ist. Aber auch der Einbruch des Winters, der den Banden die Verproviantierungsmöglichkeit im Gebirge nimmt, wird eine bedeutende Besserung bringen. Was haben Sie im Uebrigen für Pläne für die Hirschbrunft?" Berger sagte mit kernigen Worten ab: "Über Ihren Brief habe ich mich sehr gefreut. Vor allen Dingen deshalb, weil Sie der Meinung waren, dass ich an den schönen Wocheiner See in Urlaub gehen könnte und mich vor Partisanen und derlei Männer fürchte. Kann Ihnen sagen, dass solch eine Sache eine liebsame Abwechslung wäre, weil durch sie der Kalk, der sich langsam ansetzt, ruckartig aus dem Körper entfernt würde und ich so auf meine Art etwas von diesem Krieg hätte. Ich kann nun leider nicht in Urlaub gehen, sondern wollte meine Familie in diese Gegend schicken und da habe ich gewisse Bedenken, denn ich möchte nicht Frau und Kinder als Geiseln irgendwie im Gebirge festsitzen sehen." Bernatzik konnte Berger allerdings mit folgender brieflicher Meldung beruhigen: "Aus der Wochein liegen neue Nachrichten vor. Nach wie vor ist das Gebiet des Sees völlig ruhig. Von Feistritz aus gegen die Ebene hat es hingegen einige Zusammenstösse gegeben. Eine grosse und eine kleine Bande wurden aufgerieben, beziehungsweise gefangengenommen, ein Dorf verbrannt, die Männer über achtzehn Jahre erschossen, unter achtzehn Jahre in Lager gebracht. Sonst im Südosten nichts Neues."

Akten zur Entnazifierung

Abgerundet wird der Bestand durch eine umfängliche Sammlung von Lebensdokumenten, bei der besonders die Akten zur Entnazifizierung Bernatziks Aufmerksamkeit verdienen. Dokumentiert werden aber auch seine Tätigkeit als Industrieller (Gipswerke Admont A. G., Modewaren- und Kunstgewerbe A. G., Zik Zak Elektrogeräte für Haus und Industrie GmbH, Ludwig Marx Lackfabrik A. G.) sowie seine Kunstsammlung (Klimt, "primitive Kunst"). Zu den schönsten Dokumenten des Nachlasses zählen die von Emmy und Hugo Adolf Bernatzik gemeinsam geführten Tagebücher der Reisen zu den Salomon-Inseln 1932/33, nach Hinterindien 1936/37 und Marokko 1949/50. Zu den Sammlungen gehört eine ausführliche Kollektion von Zeitungsausschnitten und meist persönlich gewidmeten Sonderdrucken. Um einen optischen Leckerbissen handelt es sich bei den ebenfalls zum Nachlass gehörenden grafischen Entwürfen für Buchumschläge und Farbtafeln. Zu finden ist aber auch ein mit "Zigeunerbekämpfung" betiteltes Originalfaszikel des Landesgendarmeriekommandos für das Burgenland mit rund 250 Blatt aus den Jahren 1922 bis 1934. Hierin findet sich unter anderem eine "Denkschrift", die sich der "Lösung der Zigeunerfrage" widmet.

Archiv der Neuerwerbungen 2012

Typoskript mit Photographien von Bernatzik.
"Südsee" ist eines der bekanntesten Werke Bernatziks.