Bestandsumsiedelung
Ab 2. April 2024 wird ein Teil unserer Bibliotheksbestände in ein Außendepot übersiedelt. Diese Bestände stehen deshalb für rund zwei Monate leider nicht zur Verfügung und können in dieser Zeit auch nicht bestellt werden. Sie erkennen die nicht verfügbaren Bestände an der Kennzeichnung "Außendepot – wegen Übersiedlung derzeit nicht bestellbar" in unserem Katalog. Wir bitten um Ihr Verständnis!

Sie sind in:

Sie sind hier

Objekt des Monats Juli 2019: Demokratisierung einer Parkanlage - 100 Jahre freier Eintritt in den Burggarten

"Je-Ka-Mi", Flugzettel, Wien, 1945, WBR, DS, C-76141.

Für Yoga-Fans, Slackliner, Wien-TouristInnen oder alle, die an heißen Sommertagen dem dichten Stadtdschungel für ein paar Momente entfliehen wollen, bietet der idyllische Burggarten eine willkommene Zuflucht. Kaum jemand denkt jedoch an die bewegte Geschichte dieser Parkanlage, welche bis zum Ende der Monarchie nur den Familienmitgliedern der Habsburger zugänglich gewesen war. Erst im Mai 1919 fiel diese letzte kaiserliche Bastion und der sogenannte Kaisergarten öffnete ohne vorherige Ankündigung und Feierlichkeit seine Pforten für die Allgemeinheit. Nichtsdestotrotz strömten gleich am ersten Wochenende hunderte Naturliebhaber in den vom Strom der Großstadt wohl umrauschten, in seiner natürlichen und kunstvollen Schönheit jedoch einzigartigen Park. Der Burggarten sollte nämlich dem Wunsch des Kaisers gemäß die Naturschönheiten der gesamten  Monarchie auf engstem Raum beherbergen: die Palmen Istriens und Dalmatiens, die Fichten und Kiefern des Böhmerwaldes, die Buchen der Bukowina und das Latschengehölz, Steine und Felsen der Alpen. Um die Pracht der Baum- und Blumenbestände aus dem Süden im Winter zu schützen, wurde eigens ein großes Palmenhaus errichtet.

Garten der Republik

In der wärmeren Jahreszeit standen die Glashäuser meist leer, was der neuen Parkeigentümerin, der Republik Österreich, angesichts der allgemeinen Raumnot in der Stadt sehr missfiel und die deswegen rasch Nachnutzungskonzepte ausarbeitete. So entstand die Idee einer sich selbst erhaltenden Ausstellungshalle, die sich u. a. durch die Einnahmen eines Cafés im Palmenhaus finanzieren sollte. Die restlichen Räume des sogenannten Glaspalasts im Burggarten standen  Vereinigungen bildnerischer KünstlerInnen zur Verfügung. Bereits im Juni 1919 konnte die erste Ausstellung der radikalen Kunstgemeinschaft, welche erst einen Monat zuvor nach Streitigkeiten des Bildhauers Carl Gelles mit dem Künstlerhaus gegründet worden war, präsentiert werden. In weiterer Folge konnte sich der Glaspalast mit Veranstaltungen jeglicher Art gegenüber anderen Lokalitäten behaupten und wurde zu einem wichtigen Treffpunkt der Wiener Bevölkerung, die den Park umgangssprachlich als Burggarten bezeichnete. Dies konnte auch die offizielle Umbenennung in Garten der Republik zum ersten Jahrestag der Ausrufung der Republik nicht ändern, weshalb die Parkanlage bereits zwei Jahre später als Burggarten in den Wiener Stadtplänen aufschien.

Burggarten-Bühne

Zur gleichen Zeit etablierte sich im Burggarten während der heißen Sommermonate ein tägliches Veranstaltungsprogramm mit Opern- und Operettenaufführungen, Orchester-, Instrumental- und Gesangskonzerten, Tanzveranstaltungen sowie Kabarettabenden, u. a. mit Hermann Leopoldi und Karl Farkas. Dahinter stand die Idee, die für KünstlerInnen finanziell belastende Sommerpause zwischen den Konzert- und Theatersaisonen mit Auftritten zu füllen. Wichtige Unterstützung erfuhr dieses Projekt auch durch die politischen Verantwortlichen des Roten Wien, die die Veranstaltungen als Volksbildungsauftrag verstanden. Als Bühne diente ein Stück der Rampe zur Hofburg, welche zwischen zwei Steintreppen von Efeu dicht umrankt wurde. Davor fügte sich der ZuschauerInnenraum mit 1400 Sitz- und 1300 Stehplätzen in den Rahmen des historischen Baumbestandes ein. Zwischen 1921 und 1938, mit Einschränkungen bis 1944 und sporadisch sogar noch bis hinein in die Sechzigerjahre wurde somit allsommerlich künstlerische Sommerfrische zelebriert – nicht immer zur Freude aller PassantInnen, denen der kostenlose Zugang zur Parkanlage abends verwehrt blieb.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fanden neben sportlichen Events, wie etwa Boxturniere, auch wieder musikalische Aufführungen statt. Bereits wenige Wochen nach dem fürchterlichen Krieg warben Flyer für einen Jekami (Akronym für "Jeder kann mittun" –  ein heute noch im Schweizer Hochdeutsch gebräuchlicher Begriff). Nach Jahren der Unterdrückung und des Terrors stand nun symbolisch eine Bühne für alle Interessierten offen, sozusagen als erste Castingshow nach dem Krieg. Wie groß der Andrang war und wie spektakulär sich die Aufführungen gestalteten, ist heute leider nicht mehr nachvollziehbar, mehr als der vorliegende  Handzettel hat sich nicht erhalten. Dieser befindet sich in einem umfangreichen Konvolut von mehreren hundert Programmzetteln der Burggartenbühne aus dem Zeitraum von 1922 bis eben 1945, die das abwechslungsreiche Programm eindrucksvoll belegen.

Freiheit für den Burggarten

Auch die Protestaktionen Ende der Siebzigerjahre mit dem Slogan "Freiheit für den Burggarten" gegen das "Rasenbetretverbot" in den öffentlichen Wiener Parks sind in den Beständen der Wienbibliothek gut dokumentiert. Bis es allerdings soweit war, dass man gemütlich auf der Wiese verweilen durfte, sollten noch Jahrzehnte vergehen: Erst 2007 wurde das Verbot aufgehoben und der Grundstein zu einer neuen Parkkultur gelegt.

Archiv der Objekte des Monats 2019: