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Objekt des Monats August 2021: Der Wanderer

Ein Stück österreichische Zeitungsgeschichte

Der Wanderer. Volkszeitung und Unterhaltungsblatt, 1809, B-7792, Wienbibliothek im Rathaus

Wer bei "Der Wanderer" an die Broschüre eines Tourismusverbandes denkt, liegt diesmal falsch. Es handelt sich dabei um eine gesellschaftspolitische Zeitung patriotischer Ausrichtung, die – mit Unterbrechungen – zwischen 1809 und 1873 in Wien erschien.

Wahrer Patriotismus: Von wehrhaften Tirolern und versprochenen Küssen

Die drei seltenen Ausgaben in unserem Bestand stammen aus dem Gründungsjahr 1809 und sind inhaltlich vollends den napoleonischen Kriegen und dem Schüren patriotischer Gefühle gewidmet. Ausführlich geschildert werden darin die Ereignisse rund um den Tiroler Volksaufstand vom 9. bis 13. April 1809, gehuldigt wird dabei der Entschlossenheit, dem Mut und der Tapferkeit der wehrhaften Tiroler. Zwei weitere Beiträge berichten über das patriotisch-vorbildliche Verhalten dreier Brüder aus Trumau, die ihren sterbenden Vater allein zurückließen, um für das Vaterland in den Krieg zu ziehen, sowie über ein "wackeres Zipser Mädchen", welches – mit dem Versprechen eines Kusses – vier junge Burschen motivieren konnte, sich dem Feldjäger-Corps anzuschließen.

Der Zensor als Schriftsteller, Redakteur und Herausgeber

Die Gründung von "Der Wanderer" ist eng mit den politischen Umständen jener Jahre verwoben. Trotz aufrechter Zensur und strenger behördlicher Auflagen, die für den Erhalt einer Konzession zur Herausgabe von Schriften notwendig waren, gab es in Wien eine rege Publizistik. Neben vielen der Romantik zuzurechnenden Erscheinungen aus den Bereichen Literatur, Musik und Theater, wurde in den Krisenjahren 1808/1809 auch von obrigkeitlicher Seite zunehmend auf die Macht der Presse gesetzt und die Verbreitung patriotischer Druckwerke explizit befördert.

Mit Johann Michael Armbruster war es kein Unbekannter, der den "Wanderer" ins Leben rief. Der aus Württemberg gebürtige Publizist war ab 1786 als freier Schriftsteller in Konstanz am Bodensee tätig. Aufgrund seines energischen Auftretens gegen die Französische Revolution zog Armbruster die Aufmerksamkeit der vorderösterreichischen Regierung auf sich und avancierte zum österreichischen Polizeikommissar in Freiburg. Als die vorderösterreichischen Gebiete sukzessive abgetreten werden mussten und die dortige Regierung nach Wien verlegt wurde, kam auch Armbruster in die Haupt- und Residenzstadt. Für 1800 ist seine Tätigkeit als Inlandsredakteur der Wiener Zeitung nachweisbar, 1802 wurde er Zensor und 1804/1805 schließlich k.k. Hofsekretär bei der Polizei- und Zensurhofstelle.

Angesichts dieser patriotisch-regierungstreuen Karriere erstaunt es nicht, dass Johann Michael Armbruster 1808 als Redakteur für die auf unmittelbaren Befehl des Kaisers gegründeten "Vaterländischen Blätter für den österreichischen Kaiserstaat", ein obrigkeitliches Propagandablatt, eingesetzt wurde. Zu Beginn des Jahres 1809 suchte Armbruster aber auch auf eigene Initiative beim Ministerium des Innern um die Herausgabe eines Volksblatts an, das er anonym und auf eigene Kosten herausbringen wollte. Die Zensur konnte er dank seiner einschlägigen Kontakte weitestgehend umgehen, wobei regimekritische Inhalte von "Der Wanderer" nicht zu erwarten waren.

Die weitere wechselvolle Erscheinungszeit bis 1873

Geplant war das Erscheinen von wöchentlich drei Nummern, doch ging die Produktion im Jahr 1809 nicht über die bei uns erhaltenen drei Ausgaben hinaus. Am 13. Mai 1809 wurde Wien von den französischen Truppen eingenommen und "Der Wanderer" eingestellt. Erst 1814 sollte die Zeitung unter Beibehaltung des Titels und unter Verwendung desselben Sujets, davon abgesehen aber unter gänzlich anderen Voraussetzungen, erneut erscheinen. Mit einer durch die Revolution bedingten Unterbrechung im Herbst 1848 wurde sie bis 1873 regelmäßig fortgesetzt. In dieser Zeit wechselten die verantwortlichen Redakteure, allfällige Neben- bzw. Untertitel und auch die Erscheinungsfrequenz.

Wenngleich die Blattlinie je nach Regierung und verantwortlichem Redakteur variierte, wurde die patriotisch-regierungsnahe Ausrichtung im Wesentlichen beibehalten. Im Vormärz zählte "Der Wanderer" zu den vielgelesenen Unterhaltungsblättern, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte er sich zunehmend zu einem politischen Blatt, das auch wirtschaftspolitische Themen behandelte. Der Zeitungsgründer Johann Michael Armbruster hatte mit all diesen Entwicklungen allerdings nichts mehr zu tun, er war bereits im Jänner 1814 durch Suizid aus dem Leben geschieden. Die 1894 nach ihm benannte Armbrustergasse gedenkt seiner als Gründer der ersten öffentlichen Leihbibliothek in Wien.

Für den 15. August 1873 verzeichnet ein Eintrag in der "Localchronik" des "Wiener Communal-Kalenders": "Aufhören des Erscheinens des 'Wanderer', des ältesten Journals Oesterreichs nächst der Wiener Zeitung." Dem Blatt, welches immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, gelang es nicht, die in Folge des Börsenkrachs von 1873 einsetzende Wirtschaftskrise zu überdauern.

Literatur

  • Norbert Bachleitner: Die literarische Zensur in Österreich von 1751–1848. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2017, S. 99
  • ORBI: Österreichische Retrospektive Bibliographie (ORBI). Hg. Von Helmut W. Lang. Reihe 3. Österreichische Zeitschriften 1704–1945. Bd. 2. Bibliographie der österreichischen Zeitschriften 1704–1850. München: K.G. Saur 2006
  • Karl Wagner: Die Wiener Zeitungen und Zeitschriften der Jahre 1808 und 1809. Wien: A. Hölder 1914, S. 46–48
  • Wiener Kommunal-Kalender und Städtisches Jahrbuch (1874), S. 308

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