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Objekt des Monats März 2021: Zum 95. Geburtstag von Lotte Tobisch

„Es konnte einem nichts Besseres passieren, als Hund bei Bruno Kreisky zu sein.“

Lotte Tobisch mit dem Welpen Bianca und Vater Dagobert, um 1970, WBR, HS, ZPH 1827

„Ich habe unter den vielen Bildern diese beiden aus den allerersten Tagen von Bianca gefunden und da hatten wir sie gemeinsam. Ich möchte sie Ihnen gerne zur Erinnerung schenken“, schrieb Alt-Bundeskanzler Bruno Kreisky am 23. März 1988 an Lotte Tobisch, deren Nachlass die Wienbibliothek 2020 (ZPH 1827) übernommen hat. Die angesprochenen Bilder zeigen den Hundeliebhaber Kreisky mit zwei Deutschen Boxern im Garten seiner Döblinger Villa in der Armbrustergasse 15 sowie die beiden Hunde beim gegenseitigen Beschnuppern.

Seine Zuneigung zu Tieren und insbesondere zu Hunden verband den Politiker mit Lotte Tobisch, die am 28. März ihren 95. Geburtstag gefeiert hätte. Tobisch ist der breiten Öffentlichkeit vor allem als Grande Dame des Wiener Opernballs, den sie von 1981 bis 1996 leitete, und als couragiert-charmante Zeitgenossin, die stets offen und ehrlich ihre Meinung äußerte, in Erinnerung geblieben. Weniger bekannt ist, dass die Schauspielerin, die ab 1943 bei der Bühnengröße Raoul Aslan Privatunterricht genommen hatte, schon bei der Wiedereröffnung des Burgtheaters nach dem Zweiten Weltkrieg am 30. April 1945 als „blumenstreuendes Mädchen in ‚Sappho‘“ von Franz Grillparzer im Einsatz war, wie sie in einem (in ihrem Nachlass überlieferten) Lebenslauf festhielt. Nachdem sie mit dem damaligen Chefdramaturgen des Burgtheaters, Erhard Buschbeck, eine Lebensgemeinschaft eingegangen war, löste sie ihr Engagement am Burgtheater, war auf den Wiener Bühnen (etwa dem Volkstheater oder dem Theater in der Josefstadt) und bei Gastspielen im Ausland dennoch präsent. Ebenso reüssierte sie ab den 1950er Jahren beim Film (etwa in der Rolle der Eva Braun in „Der letzte Akt“ des bekannten Regisseurs G. W. Pabst) oder auch im Fernsehen (etwa in Karl Farkas‘ „Bilanz der Saison“ oder – etwas später – als Testimonial der „Maggi“-Würze, was auch in ihrem Briefverkehr mit dem Philosophen Theodor W. Adorno zu neckischem Austausch führte).

Der Tod ihres geliebten, über 40 Jahre älteren Lebenspartners Erhard Buschbeck am 2. September 1960 riss eine Lücke in Tobischs Leben. Unter Bekannten und Freunden, die für eine Auflockerung sorgen wollten, trat insbesondere das Ehepaar Haeusserman/Nicoletti in Erscheinung: Während der Burgtheaterdirektor Ernst Haeusserman Lotte Tobisch an sein Theater zurückholte, hatte seine Ehefrau Susi Nicoletti eine andere Idee. Die Schauspielkollegin brachte Tobisch zum Trost über den Verlust einen neuen Wohnpartner in Gestalt eines Boxerwelpen: „[W]ie hätte ich widerstehen können, als sie [Nicoletti] eines Tages ohne Vorankündigung mit einem kleinen, süßen Boxer im Arm vor meiner Wohnungstür stand? Der Welpe hieß ‚Dag von Ilsenstein‘, bekam von mir den Namen Dagobert und wurde einer der größten und schönsten Boxerrüden von ganz Wien.“ (Lotte Tobisch: Alter ist nichts für Phantasielose. Wien: Amalthea 2016, S. 149) Der geliebte Boxer war auch immer wieder Thema in der Korrespondenz. Der befreundete Publizist und Journalist Jacques Hannak etwa schrieb am 16. November 1961 an Tobisch, die gerade mit dem Wiener Tournee-Theater in Frankfurt am Main gastierte: „Hast Du Nachrichten über Dagobert? Entweder hat er Dich schon ganz vergessen oder, was wahrscheinlicher ist, sehnt sich schon nach Dir wie Du nach Wien. No, bald wird die harte Prüfung für euch beide vorbei sein.“ (WBR, HS, ZPH 1827) Ebenso teilhabend war Theodor W. Adorno, dem Lotte Tobisch am 25. August 1963 schrieb: „So, mein Lieber, jetzt mache ich Schluß: Nun kommt der Dagobert dran, das arme Vieh mit der Engelsgeduld! Du kannst Dir nicht vorstellen, wie selig der war beim Wiedersehen! Tiere sind doch bessere Menschen!“ (WBR, HS, ZPH 1827). Adorno seinerseits hielt den Rüden in seinem Text „Wien, in dieser Jahreszeit“, der auf einem Wien-Besuch und auch seinem dortigen Austausch mit Tobisch basiert, fest: „Auf das Kommando: Beissi holen, Beissi holen, springt Dagobert, der wohlgenährte und enthusiastische Boxer, wild davon, nimmt seinen Maulkorb ins Maul und apportiert ihn seiner schönen Herrin. Vorform der Freiwilligen Selbstkontrolle; allerdings, ohne daß Theologen dazu bemüht würden.“ (Süddeutsche Zeitung, 10.11.6.1967) Einen bislang nicht identifizierten Adressaten animierte der Hund zu einem Porträt des versehrten Dagobert nach einem Hundekampf und den Versen „Lieber, guter Dagobert! Hoffentlich bist Du belehrt: / Meide fortan spitze Nadeln, / halte Dich an Würst‘ und Brateln.“ (WBR, HS, ZPH 1827)

Dagobert zeugte vermutlich um 1970 mit der Boxerdame Lady aus dem Nachbarhaus einen einzigen Welpen, nämlich ein schneeweißes Mädchen, das konsequenterweise Bianca getauft wurde. Zum Zeitpunkt von Biancas Geburt hatte Bruno Kreisky gerade einen seiner beiden Boxer verloren und befürchtete, „der andere würde darüber trübselig werden“. Über Vermittlung von Marietta Torberg, der Witwe des Schriftstellers und Journalisten Friedrich Torberg und langjährigen Vertrauten von Kreisky, die sowohl über die Hundesorgen des Kanzlers als auch Tobischs Nachwuchs wusste, kam es zu einem Kennenlerntreffen, obwohl Tobisch zunächst davon überzeugt war, dass sie den Welpen nicht abgeben wolle. „Schon bei seinem ersten Besuch bei der Schauspielerin kauerte Kreisky sofort auf dem Fußboden, schleckte ihn der Hund ab und beide spielten wie Kinder. Dazu die Hausfrau: ‚Es konnte einem nichts Besseres passieren, als Hund bei Bruno Kreisky zu sein.‘“ (Lucian O. Meysels: Die Welt der Lotte Tobisch. Wien, Klosterneuburg: Edition Va Bene 2002, S. 88) Nicht zuletzt, weil der weiße Hund auf der Straße schnell schmutzig wurde, stimmte Tobisch der Übergabe an Bruno Kreisky schließlich zu, hatte sich aber ein Besuchsrecht ausbedungen. Neben Frühstückseinladungen, bei denen der diäthaltende Kanzler nur dem Gast und den Hunden Schinken gönnte, wurde Tobisch auch immer wieder zu geselligen Treffen beim Heurigen oder zum Abendessen eingeladen.

Dass Lotte Tobisch auf diese Hundepartnerschaft durchaus stolz war, belegen die verschiedenen publizierten Versionen dieser gemeinsamen Geschichte mit Bruno Kreisky sowie eine für Lesungen vorbereitete Fassung in Tobischs Nachlass. Aber auch Bianca hat – neben anderen Hunden von Kreisky wie Wastl, Titus oder Goliath – Eingang in die Literatur gefunden. Ein Porträt der Kanzlergattin Vera Kreisky (1916–1988) in der „Neuen Illustrierten Wochenschau“ vom 23. Mai 1971 wurde etwa mit den Zeilen eröffnet: „Am Fuß des Stiegenaufganges, der ins obere Stockwerk führt, steht wie eine Statue aus Elfenbein Bianca, die Boxerhündin der Dame des Hauses. Sie ist ein seltenes Tier. Rein weiß, […] ein Geschenk der Wiener Schauspielerin Lotte Tobisch. Noch lange ehe die Gattin des Bundeskanzlers in Erscheinung tritt, hat Bianca mit ihren rosigen Nüstern den Besucher beschnuppert.“ (Neue Illustrierte Wochenschau, 23.5.1971)

Link in den Katalog

Archiv der Objekte des Monats 2021

Bruno Kreisky mit der jungen Bianca und seinem zweiten Deutschen Boxer (vermutlich Titus) im Garten der Armbrustergasse 15, um 1970, WBR, HS, ZPH 1827
Bianca und ihr neuer Hundegefährte (vermutlich Titus), um 1970, WBR, HS, ZPH 1827
Begleitschreiben von Bruno Kreisky zu den beiden Hundebildern vom 23. März 1988, WBR, HS, ZPH 1827
Lotte Tobisch und Bruno Kreisky auf Mallorca, 1976, WBR, HS, ZPH 1827
Der verletzte Dagobert nach einem Hundekampf, verewigt auf einer eigens gestalteten Genesungskarte, o. J., WBR, HS, ZPH 1827