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Wienbibliothek im Rathaus übernimmt Bestände von Marie-Thérèse Kerschbaumer und Lida Winiewicz

Presseinformation 22. November 2023

Die Wienbibliothek im Rathaus macht mit der Übernahme des Teilvorlasses von Marie-Thérèse Kerschbaumer (* 1936) und des Nachlasses von Lida Winiewicz (1928–2020) zwei spannende Autorinnen des literarischen und musikalischen Lebens der Stadt zugänglich, die in verschiedenen Genres gearbeitet haben. Ihr Werk ist nicht nur für geschlechterspezifische Forschungen von großer Bedeutung.

»Auch die Literaturgeschichte zeigt, dass der Fokus der letzten 100 Jahre vor allem auf das Schaffen von Autoren gerichtet war. Daher freut es uns umso mehr, mit zwei wichtigen weiblichen Stimmen der österreichischen Literatur- Theater- und Mediengeschichte die umfangreichen Bestände der Wienbibliothek im Rathaus zu ergänzen«, betont Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Und Wienbibliothek-Direktorin Anita Eichinger ergänzt: »Das vielfältige literarische und musikalische Leben der Stadt zeigt sich unter anderem daran, dass Marie-Thérèse Kerschbaumer und Lida Winiewicz auch fremdsprachig gearbeitet haben und Winiewicz sehr erfolgreich z. B. als Librettistin für Musicals schrieb. Dies in unserer Sammlungstätigkeit widerzuspiegeln ist ein großes Anliegen.«

Teilvorlass von Marie-Thérèse Kerschbaumer

Marie-Thérèse Kerschbaumer (* 1936) ist im österreichischen Literaturbetrieb ausgehend von ihrem vielbeachteten Werk »Der weibliche Name des Widerstands« (1980) mit sieben Porträts von Frauen unterschiedlicher sozialer Schichten, die während der Nazizeit Widerstand leisteten, eine bedeutende Autorin, die überdies als Übersetzerin und engagierte Kämpferin für Autor:innenrechte sehr aktiv war.

Die Wienbibliothek im Rathaus hat bereits in den Jahren 2002 bis 2009 Teile des literarischen Archivs und der Korrespondenzen der Schriftstellerin Marie-Thérèse Kerschbaumer erworben. Der nun übernommene Teilvorlass umfasst Materialien zu ihrem Wirken seit Mitte der 1990er-Jahre, wobei besonders zu »Gespräche in Tuskulum« (2009) und »Chaos und Anfang« (2016) große Werkkonvolute überliefert sind und damit Einblick in die Schreibwerkstatt mit (Werk-)Notizen, Entwürfen, verschiedenen Textfassungen und Korrekturstufen erlauben.

Die nun ergänzte Korrespondenz beruht auf der Übersetzungstätigkeit der Autorin, was die Briefwechsel mit Rumänisch- und Italienisch-Spezialist:innen oder mit spanisch-kubanischen Autor:innen belegen, und zeugt von intensiver Auseinandersetzung mit Kolleg:innen wie Karl-Markus Gauß, Julian Schutting, Anna Mitgutsch, Gerhard Kofler, André Heller oder Friederike Mayröcker.

Erstmals zugänglich werden nun Materialien aus Kerschbaumers frühem Schaffen, etwa Notizhefte und -bücher oder Lebensdokumente inklusive einer reichhaltigen Sammlung an Unterlagen zum 1963 begonnenen Studium der Deutschen Philologie und Romanistik und ihrer 1973 abgeschlossenen Dissertation »Die syntaktische Hervorhebung im modernen Rumänisch«, die vom umfassenden Sprachinteresse der Autorin zeugen.

Eine wichtige Ergänzung der bisherigen Kerschbaumer-Materialien stellen die erworbenen Lebensdokumente und Fotografien dar. Marie-Thérèse Kerschbaumer setzt sich in ihrem Werk immer wieder mit ihrer Herkunft, mit dem Aufwachsen als Kind mit österreichisch-kubanisch-spanischen Wurzeln in Tirol auseinander. Ein ausführlicher Briefwechsel mit dem Großvater, Lebensdokumente der Großeltern und des Vaters sowie zahlreiche Originaldokumente können dazu beitragen, Kerschbaumers Familien- und Schreibhintergrund zu beleuchten.

Eine beachtliche Sammlung von Notizheften und -büchern umfasst die große Zeitspanne von den 1950er-Jahren bis 2020. Diese Aufzeichnungen beinhalten tagebuchähnliche Notate wie auch Werknotizen, Sprachstudien, Reiseaufzeichnungen, Finanzaufstellungen oder Lektürenotizen. Zu diesem Fundus sind überdies die sogenannten »Tagesblätter« zu zählen; das ist eine Loseblattsammlung mit tagesaktuellen Aufzeichnungen, die Kerschbaumer auch grafisch auffällig gestaltet hat.

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Nachlass von Lida Winiewicz

Lida Winiewicz-Lefèvre (1928–2020) wuchs in Wien auf, ab 1938 ohne Eltern: Ihre Mutter verstarb bereits 1929, ihr Vater musste 1938 fliehen, wurde nach seiner Verhaftung von Drancy nach Auschwitz ins KZ deportiert und 1942 ermordet. Der Nachlass umfasst auch die Abschrift eines Tagebuchs, das ihr Vater während seiner Gefangenschaft für seine Töchter zu führen begann, da seine Briefe diese nicht mehr erreichten. Das Diarium, das Lida Winiewicz als wichtige Quelle für ihr Buch »Die Kinder gehen in die Oper« (2007) nutzte, fand sich beim Gepäck des deportierten Ehepaars, das die Töchter 1947 beim Bürgermeister in Auvillar abholen konnten.

Die beiden Schwestern wuchsen als sogenannte »Vierteljüdinnen« auf, wie die Autorin in »Die Kinder gehen in die Oper« ausführt. Lida Winiewicz wandte sich früh dem Schreiben und Übersetzen zu und machte sich vor allem als Bühnenschriftstellerin und insbesondere als Drehbuch- und Fernsehautorin einen Namen.

Der von der Wienbibliothek im Rathaus übernommene Bestand dokumentiert mit Prosa- und Theatertexten, Drehbüchern, Bearbeitungen für das Fernsehen und das musikalische Theater und nicht zuletzt mit literarischen Übersetzungen Winiewiczs umfangreiches und vielfältiges Schaffen ab den 1960er-Jahren. Der Bestand zeigt die in verschiedenen Genres arbeitende Schriftstellerin, etwa die Umarbeitung von Romanen in Theaterstücke oder von Theaterstücken in Hörspiele. Winiewicz hielt offensichtlich die Vorstufen ihrer Arbeiten für nicht aufbewahrenswert, von zentralen Werken sind oft nur Verlagsfahnen oder Bühnenmanuskripte vorhanden. Die Arbeiten nach 2000 sind allerdings vielfach als Typoskripte im Bestand, darunter eines mit zahlreichen Korrekturen der Autorin zum autobiografischen Roman »Der verlorene Ton« (2016), der sich mit der Kindheit und Jugend eines Mädchens mit einer jüdischen Großmutter in Wien während des Krieges und in der Nachkriegszeit auseinandersetzt.

Winiewiczs Produktion für Theater, Radio und Fernsehen ist seit den Anfängen nachgewiesen. Das Originaltyposkript zum Drama »Das Leben meines Bruders« (1960) wird im Bestand durch Materialien zur Aufführung im Rahmen der Wiener Festwochen (1960) sowie zur gleichnamigen Verfilmung (1962) ergänzt. Zur nachfolgenden Komödie »Regenzauber« (1961) ist ein größeres Konvolut mit Typoskript-Durchschlägen vorhanden, die unterschiedliche Textstufen nachvollziehbar machen.
Winiewicz arbeitete auch erfolgreich als Librettistin, u. a. verfasste sie die deutschsprachigen Libretti für die Musicals »Anything goes« (1981) und »Freudiana« (1990). Die Materialien zum Libretto für das Musical »Liberty«, an dem Lida Winiewicz ab 1983 zehn Jahre lang arbeiten sollte, zeigen die Anfänge einer Zusammenarbeit mit dem Komponisten Ennio Morricone.

Ihre Arbeiten für Film und Fernsehen sind im Nachlass gut vertreten, Fernsehspiele oder Szenen und Kurzspiele für Paula Wessely sowie einige Beiträge für TV-Serien, etwa die zwölfteilige Serie »Hans und Lene« (ARD, 1976). Herausragend ist die Korrespondenz der Autorin mit ihrem Ehemann aus den 1960er-Jahren, die ausschließlich in französischer Sprache geführt wurde. Der Schriftwechsel veranschaulicht auf rund 400 Blatt Winiewiczs Selbstfindung als berufstätige, selbständige Frau und Schriftstellerin in der Auseinandersetzung mit Ehemann und Familie und ist als Quelle nicht allein für geschlechterspezifische Forschungen von großer Bedeutung.

Nähere Informationen auf Wien Geschichte Wiki hier

Links

Presseinformation: Wienbibliothek im Rathaus übernimmt Bestände von Marie-Thérèse Kerschbaumer und Lida Winiewicz (PDF)

Pressekontakt und Bildmaterial-Anfragen:

vielseitig ||| Mag.a Valerie Besl
t: +43 1 522 4459 10, m: +43 664 8339266, valerie.besl@vielseitig.co.at

Wir bitten Sie, im Rahmen Ihrer Berichterstattung auf die Wienbibliothek im Rathaus hinzuweisen.

Lida Winiewicz: Reisetagebuch zur USA-Tournee des Wiener Akademikerkammerchors, 1955, Wienbibliothek im Rathaus
Lida Winiewicz (Foto: unbekannt), Wienbibliothek im Rathaus
Marie-Thérèse Kerschbaumer: »Gespräche in Tuskulum« (2009): Computerausdruck einer Vorstufe mit eigenhändigen Korrekturen, Wienbibliothek im Rathaus
Marie-Thérèse Kerschbaumer (Foto: Jo Pesendorfer), Wienbibliothek im Rathaus