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„Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!“

H. C. Artmann zum 100. Geburtstag
Ausstellung 10. Juni bis 10. Dezember 2021

Die Wienbibliothek im Rathaus feiert den 100. Geburtstag von H. C. Artmann (12. Juni 1921–4. Dezember 2000) mit einer Schau, die unter dem Titel „Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!“ dem Thema Reisen im weitesten Sinne gewidmet ist. Zahlreiche Fotos, Lebensdokumente und Korrespondenzen zeugen ebenso wie Werke aus der Nachlassbibliothek von den Lebensstationen des vielsprachigen Dichters, die ihn bis an die Ränder Europas und weit darüber hinaus führten. Artmann selbst pflegte das Image des Reisenden, sagte er doch über sich selbst „ich bin abenteurer und nicht dichter“. Der postalische Gruß „vom Ende der Welt“, den Artmann in den 1970er Jahren aus Irland schickte, bietet einen Assoziationsraum, nach dem die etwa 50 Exponate der Ausstellung ausgewählt und gruppiert wurden: Die thematische Spannweite reicht vom Reisen über Exil bzw. Verbannung bis hin zu Vorstellungen des geographischen Weltendes und des Weltuntergangs.

Der "Nachlass H. C. Artmann" in der Wienbibliothek im Rathaus

Der wichtigste Bestand, aus dem die Wienbibliothek für die Ausstellung schöpfen kann, ist der „Nachlass H. C. Artmann“, der 2004 zusammen mit der Nachlassbibliothek erworben wurde. Herausragende Stücke aus Artmanns rund 3500 Bände fassender Bibliothek wurden bereits 2006 im Rahmen der Ausstellung „Wann ordnest Du Deine Bücher?“ und im gleichnamigen Begleitbuch präsentiert.

„Diese von Artmann vielbenutzte und rund 70 verschiedene Sprachen fassende Arbeitsbibliothek zeugt von dessen großem Interesse an anderen Sprachen und Kulturen“, unterstreicht Wienbibliothek-Direktorin Anita Eichinger. „Ist Artmann bei uns vor allem für seine Dialekt-Dichtung bekannt geworden, so war er doch im besten Sinne universell interessiert: Artmann konnte viele europäische Sprachen lesen, diese Leidenschaft ist in seiner Büchersammlung, aber auch in seinem Werk eindrücklich nachzuvollziehen.“

Die zahlreichen Arbeitsspuren und Marginalien erhöhen den für die Forschung unschätzbaren Wert der Nachlassbibliothek und zeigen einen Schriftsteller, der untrennbar mit Literatur gelebt und gearbeitet hat. „Vitus Bering und Carl von Linné. Don Quichote und Phileas Fogg. Ganz gleich, ob es reale oder fiktive Vorbilder sind, auch H. C. Artmann suchte als Mensch gerne sein Heil in der Ferne und scheute als Poet so manche Aventüre nicht – ein Dichter zu Lande, zu Wasser und in der Luft“, so Marcel Atze, der gemeinsam mit Gerhard Hubmann die Jubiläumsschau kuratiert. „Man stelle sich Artmann in der jetzigen Zeit vor, ohne Möglichkeit, dem Drang nach spontanen Ortswechseln nachgeben zu können“, ergänzt Hubmann.

„Artmann hat aber auch demonstriert, wie fruchtbar das uneigentliche Reisen mittels Büchern, Texten und Schrift sein kann, und das ist zumindest ein Weg, der weiterhin offensteht. Artmanns Werke sind perfekte Reiseführer auf diesem Weg.“

Die hinterlassenen Werkmanuskripte, Korrespondenzen und Lebensdokumente waren bisher kaum zu sehen. Der „Nachlass H. C. Artmann“, der insgesamt 14 Archivboxen füllt, stellt aber nur einen Bruchteil jener Materialmasse dar, die angesichts von Artmanns Lebensalter und seiner poetischen Produktion angefallen sein muss. Artmann war kein sorgfältiger Archivar seiner selbst, und so findet sich vieles auf mehrere Bestände verteilt. 2012 konnte die Wienbibliothek im Rathaus etwa die „Sammlung H. C. Artmann“ aus Privatbesitz ankaufen, die vor allem durch die enthaltenen Fotografien besticht.

Eine weitere bedeutende Quelle bilden die Vor- bzw. Nachlässe von Freunden und Schriftstellerkollegen wie Peter Rosei, Hubert Fabian Kulterer oder Hannes Schneider. Die Bestände von Kulterer und Schneider enthalten eine überraschend große Zahl an Werkmanuskripten, u. a. ein frühes Blatt aus „Der aeronautische Sindtbart“ oder die Gedichtsammlung „epitafe“.

Reise und Apokalypse: Kriegsjahre

Artmann selbst stellte einen engen Zusammenhang zwischen Reisen und Apokalypse her, indem er bei der Beantwortung der Frage „Warum ich so viel reise“ seine Erfahrung als Soldat im Zweiten Weltkrieg ins Spiel bringt: 1940 zur Wehrmacht eingezogen, habe ihn der Krieg „in absonderliche regionen“ geschickt, die er sich „auf keinem atlas erträumt hatte – von einem ort zum andren ort […]. Und das kann ich mir anscheinend nicht mehr abgewöhnen“. Eine „Norwegische Grammatik“ begleitete Artmann, wie die handschriftlich vermerkten Stationen belegen, während des Krieges: von Wien im August 1940 über Nisko und Tarnogród bis schließlich 1943 nach Artmanns Verwundung und erster Desertion wieder Wien.

Vom Rand der europäischen Welt

Nach dem Krieg entwickelte Artmann eine besondere Vorliebe für die sogenannten keltischen Nationen und deren Sprachen, den keltischen Rand der europäischen Welt, der von Schottland, Irland, der Isle of Man, Wales, Cornwall und der Bretagne gebildet wird. Bevor sich Artmann 1972 in Salzburg niederließ, begab er sich auf unstete Wanderjahre, die ihn in den 1960er Jahren nach Stockholm, West-Berlin, Lund und Malmö, Graz und schließlich Rennes führten.

Im ‚Exil‘ in Schweden kam er sich vor, „wie der alte ovid nach seiner verbannung aus Rom in die Walachei“. Von dort schickte er im Mai 1964 einen launigen Brief an Hannes Schneider, in dem Artmann von seinem Sohn, dem wackeren „Halbwikinger“ Carl Johan Casimir, berichtet, sich nach österreichischen Künstlerkollegen, u. a. Konrad Bayer und Gerhard Rühm, erkundigt und sich über Friedensreich Hundertwasser, Otto Mühl und Oswald Wiener amüsiert.

Artmann versetzte sich, wie er selbst sagte, am Beginn einer Reise in den Zustand eines trockenen Schwamms, um dann vollgesogen mit Erfahrungen und Eindrücken zurückzukehren und zu schreiben, zu übersetzen und zu dichten. Umgekehrt veranlasste ihn der Erfolg seiner poetischen Produktion erneut zum Reisen, etwa im Jahr 1981, als er gemeinsam mit Helmut Qualtinger und Peter Turrini Los Angeles und die dortige University of Southern California besuchte. Kalendereinträge, eine Postkarte an Peter Rosei, Fotos einer Lesung sowie eine aquarellierte Karikatur, die Artmann und Qualtinger vor einem Universitätsgebäude zeigt, dokumentieren diese Lesetour.

Korrespondenzen von Freunden

Eine Auswahl von Korrespondenzstücken zeigt einige Freunde auf Reisen, die sie ohne Artmann unternahmen: Peter Rosei fühlte sich in Japan angesichts einer frisch geteerten Straße, auf die es schneite, an Artmanns Buch mit dem Titel „das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken“ (1964) erinnert und Raoul Schrott schickte einen Postkarten-Gruß von einem weiteren „Ende der Welt“, nämlich jener Insel im Südatlantik, nach der Schrott später seinen Kolossalroman „Tristan da Cunha oder die Hälfte der Erde“ (2003) benannte. Der Salzburger Künstler Werner Otte sandte Artmann zum 70. Geburtstag eine Karte aus Rom und illustrierte die Lücke, die der abwesende Artmann am Gastgartentisch auf der Piazza della Rotunda hinterließ, mit einer Zeichnung.

Luftreisen

Ohne das Motiv des Fliegens ist Artmanns Werk nicht zu denken. Schon 1955 legte er „Die mißglückte Luftreise“ vor, in der Artmanns Held Caspar in einer „mit fähnchen und girlanden geschmückten montgolfière“ landet, während seine Begleiterin Pimpinella noch ohnmächtig in der Gondel liegt. Zur Publikation der pikaresken Erzählung „Der aeronautische Sindtbart oder Seltsame Luftreise von Niedercalifornien nach Crain“ kam es erst 1972, nachdem das Manuskript eine Zeitlang verschollen war.

Für den Ballon als federleichte Art der Fortbewegung hat sich Artmann stets interessiert, doch selbst einen besteigen sollte er erst im 60. Lebensjahr. Mit dem deutschen Ballonpionier Alfred Eckert absolvierte er in dessen Gasballon „Der Schneider von Ulm“ am 14. Jänner 1980 seine erste Fahrt, die durch ein Taufzeugnis dokumentiert ist.

„H. C. Artmanns Leben und Werk inspiriert auch 20 Jahre nach seinem Tod – was ihn in gewisser Weise seine Reise fortsetzen lässt“, betont Anita Eichinger. „Der über viele Jahre mit Artmann eng befreundete Künstler und Buchillustrator Christian Thanhäuser imaginierte die Ballonfahrt Artmanns mit dem Gefährt ‚Der Schneider von Ulm‘ in einem großformatigen Holzschnitt, den er eigens für die Ausstellung geschaffen hat. Außer Artmann scheint sich noch ein großer Entdeckungsreisender an Bord zu befinden, der – man beachte die Kopfbedeckung – an Christoph Columbus erinnert.“

AUSSTELLUNG: „Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!“
H. C. Artmann zum 100. Geburtstag

Von 10. Juni bis 10. Dezember 2021

Wienbibliothek im Rathaus / Loos-Räume
1010 Wien, Bartensteingasse 9/5, T: +43 (0)1 4000 84915
Montag bis Freitag, 9.00 bis 13.00 Uhr – Eintritt frei!
Geschlossen: Samstag, Sonntag, Feiertage, 24. und 31.12.2021

Kuratiert von: Marcel Atze und Gerhard Hubmann, Wienbibliothek im Rathaus
Ausstellungsgrafik: Markus Reuter
Ausstellungsfolder: Sabine Müller, Gruenberg4

Honorarfreies Bildmaterial als Download hier.

Mehr Informationen:

Hinweis:

Marcel Atze, Hermann Böhm (Hrsg.)
„Wann ordnest Du Deine Bücher?“ Die Bibliothek H. C. Artmann

240 Seiten, zahlreiche Abb., ISBN 978 3 85449 261 0
EUR 19,80, Sonderzahl Verlag 2006

Links

Presseaussendung: Ausstellung "Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!" H. C. Artmann zum 100. Geburtstag (PDF)

 

Pressekontakt und Bildmaterial-Anfragen:

vielseitig ||| Mag.a Valerie Besl
t: +43 1 522 4459 10, m: +43 664 8339266, valerie.besl@vielseitig.co.at