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Bestandsumsiedelung
Ab 2. April 2024 wird ein Teil unserer Bibliotheksbestände in ein Außendepot übersiedelt. Diese Bestände stehen deshalb für rund zwei Monate leider nicht zur Verfügung und können in dieser Zeit auch nicht bestellt werden. Sie erkennen die nicht verfügbaren Bestände an der Kennzeichnung "Außendepot – wegen Übersiedlung derzeit nicht bestellbar" in unserem Katalog. Wir bitten um Ihr Verständnis!

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Die Aura des Originals

Stefan Engl und Wolfgang Straub © Paul Pibernig

Die Wienbibliothek im Rathaus hat mit Wolfgang Straub einen neuen Leiter der Sammlung für Handschriften, Musikalien und Nachlässe; Stefan Engl steht ab sofort dem Fachbereich Musik vor. Begründet wurde die Handschriftensammlung 1878 mit dem Nachlass von Franz Grillparzer. Bis in die Gegenwart fasst sie mit Werkmanuskripten, Korrespondenzen, Archivalien, Lebensdokumenten und Fotos zentrale Dokumente des kulturgeschichtlichen Erbes der Stadt.

Sammelschwerpunkte der Musiksammlung sind Notenhandschriften und Notendrucke zur Musik der letzten zweihundert Jahre, darunter die weltweit größte Sammlung von Primärquellen zu Leben und Werk der Mitglieder der Familie Strauss. Diese Bestände stehen auch im Zentrum einer Ausstellung von Wienbibliothek, Wien Museum und Theatermuseum, die anlässlich des Johann-Strauss-Jubiläums 2025 u. a. von Thomas Aigner, dem bisherigen Leiter der Wienbibliothek-Musiksammlung, kuratiert wird.

Im Gespräch erzählen Wolfgang Straub und Stefan Engl über das Sammeln, Bewahren und Erschließen im digitalen Zeitalter und ihre Pläne, sich dem literarischen und musikalischen Werk zeitgenössischer Künstler:innen sowie populärkulturellen Strömungen der Gegenwart zu widmen.

Im klassischen Sinn fungierte die Handschriftensammlung bisher vor allem als eine Art analoges Gedächtnis – die Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche hat dies aber grundlegend verändert. Wie geht man als Sammlung damit um?

Wolfgang Straub: Für uns ist die Bereitstellung der Materialien für die Digitalisierung der urheberrechtsfreien Bestände ein alltäglicher Vorgang. So ist etwa der »Urbestand« der Handschriftensammlung, der Grillparzer-Nachlass, seit längerem in vollem Umfang online abrufbar. Aus konservatorischer Sicht werden die Originale geschont, was aber nicht heißt, dass wir die Bestände in die Depots wegsperren wollen. Die Aura des Originals bleibt im digitalen Zeitalter ungebrochen. In unseren Ausstellungen machen wir ja die Bestände nahbar und sichtbar.

Eine Herausforderung für Archive sind jene Vor- und Nachlassteile, die »digital born« sind, also etwa Werke, die nicht auf Papier, sondern nur als Datei auf unterschiedlichen digitalen Datenträgern wie Festplatten, CDs, Disketten vorliegen. Und dass eine Person für ihre Werke, Notizen, Briefe, Blogs und E‐Mail‐Konten im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Hard‐ und Software verwendet.

Die Frage der Langzeitarchivierung ist einigermaßen befriedigend gelöst, weil über die Jahre Nachfrage nach entsprechender Infrastruktur entstand. Es könnte sein, dass sich für die Archive der Zukunft das Platzproblem, mit dem alle Kulturerbeinstitutionen früher oder später zu kämpfen haben, entspannt. Knifflig bleiben meines Erachtens die Erschließung und das Zur-Verfügung-Stellen solcher Bestände – da müssen wohl, bevor wir etwa zu maschinenlesbaren Standardlösungen kommen, noch individuelle Einzelerschließungen vorgenommen werden. Aber wir arbeiten wie viele andere Archive daran, den technischen und kulturellen Wandel vom ,Material‘ zu ,Daten‘ serviceorientiert zu bewerkstelligen.

Zum Sammeln gehört auch das Erschließen und Bewahren, die Wienbibliothek im Rathaus setzt vor allem auch auf das Schaffen eines benützer:innenorientierten Zugangs zu den Beständen. Was ist darunter zu verstehen?

Straub: Das Bewahren, der dauerhafte Schutz und die Langzeitarchivierung analoger und digitaler Bestände ist eine Kernaufgabe beider Sammlungen. Eine weitere Kernaufgabe sehen wir in der Vermittlung der Bestände an die Benützer:innen – und da sehen wir uns als Handschriften- und Musiksammlung als ein Teil des Bibliotheksteams, das an der Entwicklung neuer Vermittlungsformate arbeitet. Bis dato sind nicht zuletzt Ausstellungen mitsamt aufwändig gestalteten Katalogen und Veranstaltungen vor Ort im Rathaus Möglichkeiten, das in unseren Sammlungen gespeicherte Wissen zu präsentieren. In Hinkunft werden Vermittlungsformen im digitalen Raum weiter zunehmen – besonders Visualisierungen und partizipative Formen –, wobei wir unser Ziel, zu einem möglichst offenen digitalen Umfeld beizutragen, stets im Auge behalten werden.

Wie hat sich das Nutzer:innenverhalten in den letzten Jahren verändert?

Stefan Engl: Die Digitalisierung hat natürlich Auswirkungen auf das Verhalten der Nutzer:innen der Wienbibliothek im Rathaus. So kommen beispielsweise Forscher:innen eher nicht zu uns in den Lesesaal, wenn sie eine gesuchte Musikhandschrift oder einen benötigten Musikdruck in unserer digitalen Bibliothek finden und bequem von zu Hause aus für ihre Arbeit oder Fragestellung auswerten können. Ein Digitalisat kann aber ein Original nicht in allen Punkten ersetzen. So werden bei Handschriften die Wasserzeichen nicht angezeigt, es fehlen die konkreten Abmessungen des Papiers und die Farbe der verwendeten Tinte oder auch des Papiers kann abweichen. Das Urheberrecht wiederum, dass das geistige Eigentum der Urheber:innen schützt, gilt bis 70 Jahre lang nach dem Tod des Komponisten oder der Komponistin. Bis dahin können wir diese Werke nicht in der digitalen Bibliothek zur Verfügung stellen, diese müssen bei uns vor Ort im Lesesaal eingesehen werden. Das betrifft vor allem die zeitgenössische Musik und den gesamten Pop- und Jazzbereich.

Was ist der Nutzen für Sammlungen, wenn sie im digitalen Kontext stehen?

Engl: Der große Nutzen von digitalen Sammlungen liegt im weltweiten Zugriff darauf über das Internet. Das erleichtert den internationalen Austausch enorm und ermöglicht auch eine Auswertung der Bibliotheksbestände ohne teure Forschungsreisen. Wenn die Digitalisate zusätzlich noch mit einer automatisierten Texterkennung bzw. einer automatischen Schrifterkennung durchsucht werden können, erspart das sehr viel Zeit und liefert oft neue Hinweise zu einem Thema, die man sonst vielleicht nicht entdeckt hätte. Die automatisierte optische Erkennung von Musik ist zwar viel komplexer, aber auch hier gibt es zahlreiche Projekte, mit denen es in Zukunft möglich sein soll, Digitalisate automatisiert, beispielsweise nach einer konkreten Melodie, zu durchsuchen.

Straub: Parallel zu den großen Digitalisierungsanstrengungen, die ja auch die Wienbibliothek im Rathaus unternimmt, ist es notwendig, die digitalen Inhalte zu kuratieren, in einen Zusammenhang zu stellen. Für die Nutzer:innen sind die Inhalte umso brauchbarer und wertvoller, je vernetzter sie sind. Ein gewichtiger Anteil unserer User:innen kommt etwa über die Plattform Wien Geschichte Wiki zu uns – das ist eine funktionierende Wissensvernetzung, die beständig ausgebaut wird.

Was bedeutet das in Bezug auf andere Institutionen?

Straub: Die Wienbibliothek will noch mehr mit Forschungseinrichtungen kooperieren. Es geht dabei um die Vernetzung und Kontextualisierung bislang separierter Inhalte. Mit dem Wien Museum und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv bestehen bereits intensive Kooperationen, darüber hinaus wollen wir vermehrt mit Institutionen zusammenarbeiten, die auf dem Gebiet der Digital Humanities tätig sind.

An der Wienbibliothek sind nun Handschriften- und Musiksammlung näher zusammengerückt, das ergibt spannende Synergien und fördert die Interdisziplinarität. Was wir hier im Kleinen leben, wäre auch für eine stärkere Kooperation der nationalen und internationalen Literatur- und Musikarchive wünschenswert – gerade für Österreich mit seinen kleinen föderalen Strukturen wäre mehr Kooperation und weniger Konkurrenz sinnvoll.

Welche Aufgaben sehen Sie für Sammlungen wie die der Wienbibliothek im Rathaus in den kommenden Jahren?

Straub: Ich denke, dass neben den angestammten Arbeitsschwerpunkten der weitere Ausbau der Digitalen Bibliothek zu einer multimedialen und multidisziplinären Plattform eine spannende Herausforderung sein wird. Die Handschriften- und Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus wird mit ihren Materialien dabei sowohl weiterhin ,content‘ liefern als auch mit ihren Expertisen die Vermittlung und Kuratierung vorantreiben.

Was sind Ihre Schwerpunkte in den nächsten Jahren in der Wienbibliothek im Rathaus?

Engl: Da mir die Kulturvermittlung ein sehr wichtiges Anliegen ist, möchte ich in den nächsten Jahren vermehrt Veranstaltungen organisieren, bei denen nicht nur Musik aus unseren Beständen zu hören ist, sondern auch viele Hintergrundinformationen zum kulturellen Umfeld dieser Werke erläutert werden. So findet im Mai erstmals ein Konzert aus der neuen Reihe »Wiener Premieren« statt, bei der die Musik rund um die Wiener Weltausstellung thematisiert wird, die im Jahr 1873 erstmals im deutschsprachigen Raum stattfand und 2023 das 150-Jahr-Jubiläum feiert.

Straub: Ich fände es spannend, unsere Sammlungstätigkeit auf die nicht-deutschsprachige Literatur Wiens zu erweitern. Die Umsetzung dieser Vision ist natürlich auch eine Ressourcenfrage, aber die Buntheit und Vielfalt des literarischen Lebens in der Stadt – etwa ausgehend von den offiziell anerkannten Minderheitensprachen – auch in die Bestände der Wienbibliothek zu bringen, fände ich sehr schön.

Ein Schwerpunkt wird für mich die Entwicklung zeitgemäßer Publikations- und Editionsformen und -formate sein. Als jemand, der seine berufliche Tätigkeit nach dem Germanistikstudium als Verlagslektor begonnen hat, ist das eine Herzensangelegenheit. Darüber hinaus würde es mir Freude machen, wissenschaftliche Projekte zur Erforschung einzelner Bestände an die Sammlungen zu binden.

Wolfgang Straub, geb. 1968 in Salzburg, Studium der Germanistik, Publizistik und Theaterwissenschaft in Salzburg und Wien, Literaturwissenschaftler und -kritiker, Projektleiter am Robert-Musil-Institut, Klagenfurt, seit 2023 Leiter Handschriften, Musikalien und Nachlässe der Wienbibliothek im Rathaus.

Stefan Engl, geb. 1974 in Bruneck/Südtirol, Studium der Musikwissenschaften in Wien, ab 2004 wissenschaftlicher Bibliothekar an der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, 2021 Wechsel an die Wienbibliothek im Rathaus, seit 2023 Leiter des Fachbereichs Musik.

Links

Ausführliche Presseinformation: Die Aura des Originals (PDF)

Pressekontakt und Bildmaterial-Anfragen:

vielseitig ||| Mag.a Valerie Besl
t: +43 1 522 4459 10, m: +43 664 8339266, valerie.besl@vielseitig.co.at

Wir bitten Sie, im Rahmen Ihrer Berichterstattung auf die Wiener Vorlesungen und/oder die Wienbibliothek im Rathaus hinzuweisen.

 

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