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Im Lesesaal mit Werner Schwarz

ein Portrait von Tanja Paar

Medienarchäologie und visuelle Geschichte sind die Schwerpunkte des Historikers Werner Schwarz. Schon seit 30 Jahren forscht er dazu auch in der Wienbibliothek im Rathaus. Bereits 1990, bei seiner Diplomarbeit, beschäftigte er sich mit einem Kinothema. 2000 führte ihn seine Dissertation zum Thema "Völkerschauen in Wien", bei der es abermals um die Entstehung moderner Bildmedien ging, regelmäßig in die Wienbibliothek. "Sehr wertvoll war dabei die Zeitschriftensammlung für mich", sagt er.  "Zum Beispiel im Wiener Illustrierten Extrablatt habe ich die zeitgenössische Berichterstattung zu der ethnografischen Schau im Prater gefunden."

Altenberg Teilnachlass

Im Teilnachlass von Peter Altenberg, der sich ebenfalls in der Wienbibliothek befindet, hat er "außergewöhnliche Fotos der Aschanti", die damals im Prater ausgestellt wurden, entdeckt: "Das waren offensichtlich private Fotos, nicht die der Schausteller. Es ist nicht ganz klar, ob sie von Altenberg selbst stammen. Es gibt jedenfalls sehr aufschlussreiche Briefe und Reflexionen von ihm dazu jenseits des veröffentlichten Materials."

Plakatsammlung

Neben der Handschriftensammlung war auch die Plakatsammlung für Schwarz, seit 2005 Kurator im Wien Museum mit den Schwerpunkten Mediengeschichte, Arbeitswelt und Freizeitkultur, immer wieder von großer Bedeutung: "Die Plakatsammlung hier ist eine der ganz großen, sie wurde in den frühen 20er-Jahren angelegt und ist eine wunderbare historische Quelle. Zum Beispiel für die Ausstellung 'besetzte Orte‘ wie die Arena in Wien, war sie sehr hilfreich. Auch für die Recherche für 'Rotes Wien‘ oder 'Mythos Galizien‘ bin ich regelmäßig hierhergekommen." Neben den Plakaten selbst sei es die hervorragende Plakatliteratur, also Texte zur Geschichte des Plakats, die er hier schätze. "Es ist erstaunlich, wie viel man werbepsychologisch schon wusste vor über 100 Jahren. Zum Beispiel 'Die Reklame‘ von Viktor Mataja aus 1909 kann ich dazu empfehlen."

Postsowjetischer Raum

Nachdem er 1998 Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) war, verschlug es ihn als Auslandslektor an die Universitäten Jerewan (Armenien), Tiblissi (Georgien), Almaty (Kasachstan), Bishkek (Kirgisien) und Taschkent (Usebekistan). "In Armenien war ich auch dafür zuständig, eine kleine Österreichbibliothek aufzubauen. Ich bin mit 20, 30 Schachteln Büchern mit österreichischer Literatur um Mitternacht in Jerewan angekommen. Leider war zuerst niemand da, um mich abzuholen. Die Taxler haben sich gleich auf mich gestürzt und je eine Kiste geschnappt. Die mussten wir erst wieder einsammeln, als endlich der versprochene Transporter von der Uni kam." Der Aufbau der Bibliothek sei eine Herausforderung gewesen, er sei ja kein Bibliothekar. Umso mehr schätze er eine gut sortierte, gut geführte Bibliothek.

Harvard, freihand

"2004 war ich visiting fellow an der Harward University", erzählt er. Die Bibliothek dort sei "ein Wahnsinn", großteils freihand, ein riesiges Labyrinth. Jeden Tag gingen da zig Mitarbeiter durch, um zu kontrollieren, ob die Bücher wieder richtig stehen. Das schätzt er auch an der Wienbibliothek, dass man gut und schnell an die Bücher herankommt und sie in Händen halten darf. "Innerhalb kurzer Zeit nach Bestellung sind die Bücher da, das ist schon etwas besonderes", sagt er. Das Personal sei besonders gut und freundlich hier. Jeder, der in Bibliotheken arbeitet, kenne die Frustration, wenn nur die Hälfte der bestellten Bücher auch geliefert würde. "Das ist mir hier noch nie passiert", betont er.

Digitalisierung

Als Kuriosum erinnert sich an die Zeiten, als in der Wienbibliothek noch auf Papier mit "großen Büchern mit Durchschlägen" bestellt wurde: Zwei verschiedenfarbige Zettel galt es auszufüllen, ein Durchschlag blieb zur Archivierung zurück. "Aber welche Farbe gibt man ab? Das wusste ich zuerst nicht. Man musste auch vorsichtig sein beim Herausreißen der Bestellung an der Perforierung entlang. Das war eine eigene Wissenschaft. Heute geht alles online." Die Datenbanken seien sehr gut, in den letzten Jahren sei sehr viel digitalisiert worden.

Neogotik

Schwarz selbst schätzt die Arbeit vor Ort in der Bibliothek. "Ich dürfte als Mitarbeiter des Wien Museums auch entlehnen, aber ich komme gern hierher ins Rathaus. Er selbst arbeitet am liebsten am Vormittag im großen Lesesaal. "Ich bin kein Frühaufsteher", sagt er, "also komme ich nicht gleich um neun Uhr, wenn hier aufgesperrt wird. Ich nehme dann den Platz, der frei ist, da bin ich unkompliziert. Es muss kein Fensterplatz sein."

Das geheime Zimmer

Für eine Ausstellung zu Felix Salten, dem vermutlichen Autor der "Josefine Mutzenbacher", habe er 2006 sogar im "geheimen Zimmer", der erotischen Secretasammlung, forschen dürfen. "Die war ganz oben unterm Dach, man musste quasi durch den Dachboden gehen, um hinzukommen. Ganz oben war ein hoher Raum mit diesen neogotischen Fenstern wie in einer Burg, ich weiß nicht, ob es den noch gibt." "Da, wo früher der Benützersaal des Archivs war, ist heute das Ausstellungskabinett", erinnert er sich. "Das schätze ich auch sehr hier, die rege Zeigepraxis bei Ausstellungen wie der aktuellen zur Sammlung Brigitte Hamann oder auch zur Popkultur wie gerade im Foyer."

Ausstellung Hamann

Ausstellung Popkultur

Pater noster

Auch mit dem Pater noster zu fahren, mag er sehr. "Es ist, glaube ich, einer der letzten in Wien", sagt er, "den im NIG gibt es ja nicht mehr." Das rattert und rumpelt ordentlich beim Fahren. "Ich bin auch schon unten herum gefahren. Man malt sich da ja alle möglichen Schreckensszenarien aus, aber es passiert gar nichts. Man wird nicht auf den Kopf gestellt. Es wird nur kurz dunkel."

Frühere Ausgaben von Im Lesesaal