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Im Lesesaal mit Wolfgang Dörner

Musikwissenschaftler, Dirigent, Dozent

Wolfgang Dörner

ein Portrait von Tanja Paar

"Herr Ziegler wusste einfach alles. In jeder Bibliothek muss es einen geben, der alles weiß", sagt der Dirigent Wolfgang Dörner. Besagter Johann Ziegler war es, der ihm Ende der 1980er-Jahre bei seinen ersten Recherchen in der Musiksammlung der Wienbibliothek half. "Ich war vom WDR Köln eingeladen, eine Woche lang Aufnahmen mit Werken von Josef Strauss einzuspielen. 1985 habe ich meine Dirigierlaufbahn begonnen, also muss es kurz danach gewesen sein."

Damals waren die Signaturen der Werke noch auf Karteikarten verzeichnet. Dörner ließ sich die Originalnotationen ausheben und kopieren. Herrn Ziegler sei Dank: Alles wurde aufgefunden. "Heute geht das durch die Digitalisierung über die Schnellsuche alphabetisch nach Komponisten", erklärt Dörner, der als a.o. Professor auch an der Kunstuniversität Graz musikpädagogisch im Fach Dirigieren tätig ist. "Die Gefahr dabei ist, dass bei der Digitalisierung immer wieder Schreibfehler passieren", führt er aus. "Zum Beispiel bei der alten Schreibweise des f in Josef, die dem scharfen ß ähnlich ist. Wenn da ein S eingetragen wird statt dem F, findet man den Eintrag nicht mehr. Ebenso bei i oder j. Noch schlimmer beim Wortanfang." Dörner gibt solche Entdeckungen auch aktiv an die Bibliothek weiter, um mitzuhelfen, Fehler auszumerzen.

Abschreibfehler

Als weiteres Beispiel nennt er die "Tanzinterpellanten", ein Stück, das für den Juristenball geschrieben wurde.  "Da wurde aus einem n ein u. Und die Interpellauten sind so unauffindbar." Als Dirigenten interessieren Dörner unterschiedliche Quellen, die Quellenforschung ist sein täglich Brot und führt ihn seit vielen Jahren regelmäßig an die Wienbibliothek – und viele andere Bibliotheken. "Ich finde es wichtig, mich mit Werken zu beschäftigen, die noch nicht so bekannt sind. Was gibt es für ein Repertoire? Wir als Dirigenten sollten einen möglichst umfassenden Blick haben, weil wir mitverantwortlich sind für das Konzertgeschehen. Dabei geht es nicht nur um lexikalisches Wissen, sondern auch darum, Bezüge herstellen zu können."

Ähnliche Überlegungen brachten ihn zur Wahl seines Dissertationsthemas: "Joseph Lanner im Kontext der biedermeierlichen Tanzmusik". "Lanner war und ist viel weniger bekannt als Strauss Vater", erklärt Dörner. "Mich hat interessiert, warum." Also ging er daran, ein Werkverzeichnis als Basis anzulegen, ein Unterfangen, das ihn vier Jahre beschäftigen sollte. "Naiv wie ich war, konnte ich das nicht ahnen", sagt er lachend. 770 Seiten später wusste er es besser: Das Verzeichnis umfasst rund 200 gedruckte und rund 150 ungedruckte Werke. Lanner, als einer der – wenn nicht der –  Schöpfer des Wiener Walzers, war dokumentiert.

"Das gibt es ja oft im Bereich der Komponisten", fährt er fort, "dass einer im Schatten des anderen steht. Denken Sie an Mozart und Salieri. Mich hat interessiert, das Urteil der Geschichte zu hinterfragen: Lanner hat als einer der ersten Komponisten seiner Zeit ein eigenes Orchester aufgebaut. 1842 erst wurden die Philharmoniker gegründet, Lanner hatte bereits eines um 1828 herum, etwa zeitgleich mit Strauss Vater. Der aber hat im Unterschied zu Lanner große, internationale Tourneen gemacht."

Den Walzer in den Konzertsaal

Weiters hat Lanner den Walzer, davor als Tanzmusik ausschließlich in Ballsälen gespielt, als Erster in den Konzertsaal gebracht. "Er war genau genommen der Erfinder des Neujahrskonzerts", erklärt Dörner und fährt fort: "Die Saison war ja nicht lang. Die Kirche hat es streng genommen mit dem Fasching und der Fastenzeit. Jetzt gab es außerhalb der Tanzsaison Konzerte im Kaffeehaus, so genannte 'Assemblées' oder 'Reunionen'."

Die ungleichen Brüder

Ganz im Sinne seiner bisherigen Forschung beschäftigt sich Wolfgang Dörner zurzeit mit Josef Strauss, über den sein Bruder Johann gesagt hat: "Josef ist der Begabtere von uns zweien, ich bin bloß der Berühmtere." Josef, das Sandwichkind, wollte Techniker werden. Nur wider Willen wurde er Musiker: Er musste für seinen Bruder einspringen. Darüber schrieb er seiner damaligen Verlobten in einem Billet: "Das Unvermeidliche ist geschehen." Er konnte seiner berühmten Musikerfamilie nicht entgehen. Anders bei Dörner: Er entstammt keiner Musikerfamilie, sein Vater war Techniker. Er hat sich komplett aus eigenen Stücken dem Fach angenähert.

Die Bedeutung des Handapparats

"Ich bin ein Morgenmensch", erzählt er über seine Arbeitsweise in der Wienbibliothek. "Ich komme in der Früh hierher, nachmittags arbeite ich zu Hause." Stammplatz habe er in der Wienbibliothek keinen. Er bedauert es, dass der Lesesaal der Musiksammlung in der Bartensteingasse geschlossen wurde, wo sich auch der umfangreiche musikwissenschaftliche Handapparat der Musiksammlung in Griffweite befand. Gewisse ökonomische Zwänge verstehe er jedoch, wenn auch schweren Herzens.

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Frühere Ausgaben von Im Lesesaal