
Objekt des Monats September 2015: Taschenfahrplan der Wiener Tramway-Gesellschaft
Durch die flächenmäßige Ausdehnung des Stadtgebiets infolge der Eingemeindung von 34 Vorstädten (1850-1861) sowie die 1890 im Gemeinderat beschlossene Erweiterung des Stadtgebiets über den Linienwall (heute Gürtelstraße) hinaus, war neben den traditionellen Fuhrwerken für den Lasten- und Schwerverkehr der Bedarf an zeitgemäßen und günstigen Massenverkehrsmitteln rapide gestiegen.
Vom Zeiselwagen zur Pferdetramway
So waren bereits um 1850 vermehrt Stellwagen und Gesellschaftswagen unterwegs, welche die primitiven und sehr unbequemen Zeiselwagen - ungefederte Leiterwagen mit über die Seiten gelegten Sitzbrettern - allmählich aus dem Stadtbild verdrängten. Antriebskraft dieser frühen Personenbeförderungsmittel war selbstverständlich das Wagenpferd. Aus diesen auf gewöhnlichen Wagenrädern fahrenden Transportmitteln entwickelte sich Ende der 1850er Jahre die schienengebundene Pferdetramway, welche das Stadtbild bis knapp zur Wende zum 20. Jahrhundert dominieren sollte. Die genannten Transportmittel waren dezentral organisiert und in der Hand privater Gesellschaften: Uneinheitliche Tarife und Fahrpläne, die nicht aufeinander abgestimmt waren, machten den Wienerinnen und Wienern das Leben schwer.
Die Tramwaygesellschaft wird gegründet
In Zusammenhang mit der Errichtung der Ringstraßenzone und der Frage, wie der öffentliche Verkehr auf der Prachtstraße und auf der analog dazu verlaufenden Lastenstraße (Zweierlinie) zu gestalten sei, setzte die Stadt Wien auf die in Genf ansässige Firma Carl Schaeck-Jaquet & Co. Diese war 1863 mit dem Angebot an die Kommune herangetreten, Probestrecken zum Nordbahnhof bzw. durch die Alserstraße sowie nach Hernals zu errichten. Am 30. Mai 1865, also ein Monat nach der feierlich zelebrierten Eröffnung der Wiener Ringstraße, erteilte die Stadt Wien dem Unternehmen Schaeck-Jaquet eine auf fünf Jahre befristete Betriebskonzession. Die verwendeten Wagen boten jeweils 36 Personen Plätze: 18 Fahrgäste konnten im Wageninneren sitzen, vier auf den Plattformen stehen, 14 weitere Fahrgäste hatten ihre Mitfahrgelegenheit auf dem Wagendach. Die meist zweispännig gezogenen Wagen wurden jeweils von zwei Personen begleitet: Der Tramwaykutscher war zuständig für Fahrt und technischen Betrieb, der Kondukteur (Schaffner) verkaufte bzw. entwertete im Wagen die Fahrkarten (damals Tramwaykorrespondenzkarten genannt). Die erste Fahrt auf einer solchen Probestrecke fand am 4. Oktober 1865 vom Schottentor nach Hernals statt: Fahrtdauer 20 Minuten. Aktuell dauert dieselbe Fahrt 17 Minuten...
Die erfolgreiche Zusammenarbeit der Stadt Wien mit Schaeck-Jaquet führte bereits 1868 zur Erteilung weiterer Konzessionen für Betriebsstrecken und zur Gründung der Wiener Tramwaygesellschaft-AG. In der Folge war das Tramwaynetz Wiens bis 1877 auf eine Länge von rund 45 Streckenkilometern angewachsen, 1896 konnte der 80. Streckenkilometer gefeiert werden.
Kommunalisierung
Als Karl Lueger 1897 Bürgermeister wurde, hatte sowohl für das privatisierte Tramwaygeschäft als auch für den Pferdebetrieb das letzte Stündlein zu schlagen begonnen: Lueger setzte auf Elektrifizierung und auf Kommunalisierung des Verkehrswesens. 1897 wurde die Tramwaygesellschaft liquidiert und das bestehende Straßenbahnnetz durch Siemens & Halske im Auftrag der Stadt Wien nach und nach elektrifiziert.
Literaturangabe
Wiener Tramway-Gesellschaft: Taschen-Fahrplan der Wiener Tramway-Gesellschaft nebst Wiener Wegweiser, colorirtem Plane von Wien, allen Tramway-Linien in Farben und colorirten Signalen der Wiener Tramway. Betriebsjahr 1891. Bearbeitet und herausgegeben von Louis Rainer. Wien 1891. 175 Seiten, 1 Blatt. Wienbibliothek im Rathaus, Druckschriftensammlung, G-163065
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