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150. Geburtstag von Karl Kraus in der Wienbibliothek im Rathaus

Presseinformation 18. Dezember 2023

Links: Brief von Karl Kraus an Irma Karczewska, verheiratete Haselhoff, vom 24. Juni 1910 © Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Karl Kraus – Marcel Faust; Rechts: Karl Kraus in Kuchelna, Foto: Mechtilde Lichnowsky, 1920 © Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Karl Kraus – Anita Kössler

Anlässlich des 150. Geburtstages von Karl Kraus am 28. April 1874 nimmt die Wienbibliothek im Rathaus diese zentrale Figur der europäischen Moderne in den Fokus: Der Ankauf einer bemerkenswerten Sammlung mit Manuskripten, unveröffentlichten Essays sowie knapp 50 Korrespondenzstücken an Irma Karczewska ergänzt den bereits bisher maßgeblichen Bestand des Karl Kraus-Archivs. Mit dem neuen, digitalen Karl Kraus-Portal auf Wien Geschichte Wiki ist ein erweiterter, partizipativer Diskurs zu Leben und Wirken des Sprach- und Kulturkritikers, Satirikers, Publizisten und Schriftstellers möglich. Und die Ausstellung »Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben« zeigt Kraus ab 26. April erstmals mittels privater Postkarten, Briefe und Memorabilien als Teil einer faszinierenden jüdischen Großfamilie.

»Die unschätzbare Bedeutung von Sammlungs- und Forschungsschwerpunkten zum kulturellen Gedächtnis der Stadt zeigt sich im internationalen Kontext: Seit 2016 ist das Karl Kraus-Archiv der Wienbibliothek im Rathaus Teil des UNESCO National Memory of the World-Registers, welches das dokumentarische Erbe der Menschheit bewahrt. Ein großer Teil des Kraus-Archivs ist bereits – ganz im Sinne des Digitalen Humanismus – als interdisziplinärer Wissens- und Erinnerungsraum digital für alle Interessierten zugänglich. Umso mehr freut es mich, dass der umfangreiche Bestand nun mit dem Ankauf einer bisher nicht öffentlichen Sammlung zu Karl Kraus erweitert werden kann«, so Veronica Kaup-Hasler, Stadträtin für Kultur und Wissenschaft. »Außerdem begrüße ich die geplante Kooperation mit den Wiener Festwochen: Zahlreiche Veranstaltungen werden rund um die Karl Kraus-Ausstellung der Wienbibliothek im Rathaus eine breitere Öffentlichkeit mit dem Leben und Wirken des Satirikers bekannt machen.«

Karl Kraus (1874–1936) prägte mit seinem monumentalen Werk seine Zeit ebenso, wie sie ihn prägte: Seine Medienkritik, sein präzises Sprachdenken und aufklärerischer Witz haben in Essays, Aphorismen, Gedichten und Dramen, erschienen großteils in seiner Zeitschrift »Die Fackel«, sowie durch Vorlesungen, Radiosendungen, Plakatkampagnen und in Form von Rechtsfällen das kritische Denken seiner Epoche beeinflusst und zeigen bis heute, was es heißt, ein öffentlicher Akteur zu sein.

ANKAUF HOCHKARÄTIGER PRIVATSAMMLUNG ZU KARL KRAUS

Die Wienbibliothek im Rathaus, die seit den 1950er-Jahren das Karl Kraus-Archiv beherbergt und mit mittlerweile tausenden von Manuskripten, Fahnen, Briefen und Lebensdokumenten zu einem der Zentren der Kraus-Forschung zählt, kann dieses nun mit dem Erwerb einer hochkarätigen Sammlung, die sich bisher in Privatbesitz befunden hat, maßgeblich erweitern: Sie umfasst originale Manuskripte von sechs bisher unveröffentlichten Essays, die Kraus in den Jahren 1929 bis 1936 verfasste, darunter ein offener Brief an die Redaktion des »Prager Tagblatts«, mit der Kraus im Clinch lag, niedergeschrieben auf 69 Zettelchen in Krausʼ eigenwilliger, schwer zu entziffernder Handschrift. Ein anderer, bisher unbekannter Text richtet sich unter dem Titel »Halali« gegen den vielfach in der »Fackel« kritisierten Felix Salten, Autor des berühmten Tierromans »Bambi«, dessen Nachlass sich ebenso in der Wienbibliothek im Rathaus befindet.

Zur »Dritten Walpurgisnacht«, jenem Sprachkunstwerk, mit dem Kraus zu Adolf Hitler und dessen auf Propagandalügen aufgebauter Gewaltherrschaft höchst Bedeutendes einfiel, enthält die Sammlung ein frühes, vom Autor eingehend überarbeitetes Typoskript.

Unter den Papieren befinden sich auch einige Gedichtmanuskripte von Karl Kraus, etwa die Verse »Hunger würdʼ uns nimmer munden« aus »Die letzten Tage der Menschheit« und das Gedicht »Die Gärtnerin«, das Kraus 1932 im Andenken an Sidonie Nádherny von Borutín geschrieben haben soll, mit der ihn bis zu seinem Tod eine intensive Beziehung verband.

Korrespondenzstücke Irma Karczewska

Von zentraler Bedeutung sind die knapp 50 Korrespondenzstücke, die Kraus ab 1906 an Irma Karczewska gerichtet hat. Kraus löste Karczewska als Vierzehnjährige aus der elterlichen Obhut, um sie als Schauspielerin zu fördern, rasch verband die beiden auch eine intime Beziehung. An ihrer Person wurde vom Psychoanalytiker und Schriftsteller Fritz Wittels die zweifelhafte Vorstellung um das »Kindweib« entwickelt: Diese männliche Fantasie, die auch Kraus bestärkte, blieb ein einflussreiches und problematisches Erbe der Wiener Moderne, etwa in der Frage des sexuellen Schutzalters von Kindern. In den frühen 1930er-Jahren schrieb Karczewska für Kraus ein vorwurfsvolles Tagebuch. Diese Abrechnung mit dem vermeintlichen Retter befindet sich bereits seit den 1990er-Jahren im Bestand der Wienbibliothek im Rathaus und erhält jetzt mit den Briefen an Karczewska ein gewichtiges Gegenstück, das der wissenschaftlichen Forschung für eine kritische Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt wird. »Dokumente wie die erworbenen Korrespondenzstücke ermöglichen es der Wissenschaft, unter allen Aspekten zu Leben und Werk zu forschen. Das beinhaltet eine kritische Auseinandersetzung im historischen Kontext ihrer Entstehung ebenso wie in der Lesart von heute, die noch einmal neue Zugänge eröffnet«, zeigt sich Katharina Prager, Leiterin für Forschung und Partizipation der Wienbibliothek im Rathaus sowie Herausgeberin des »Karl Kraus-Handbuch«, überzeugt.

Mit der nun erworbenen Sammlung macht die Wienbibliothek im Rathaus weitere Briefe und Manuskripte prominenter Persönlichkeiten aus dem Literaturbetrieb zugänglich. Neben Korrespondenzstücken und Texten von Hermann Bahr und Felix Salten sind Gedichtmanuskripte von Frank Wedekind von besonderer Bedeutung. Wedekind, der heute vor allem für seine Theaterstücke bekannt ist, trat ab 1902 auf Münchner und Wiener Kabarettbühnen auf und trug eigene Lieder in der Tradition des Bänkelsangs vor. Von sechs solcher Lieder, die Kraus in der »Fackel« abdruckte, sind die Manuskripte vorhanden, zum »Lied vom armen Kind« ist sogar die originale Notenhandschrift der Melodie erhalten.

Einblicke in das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben der Zeit geben bisher unbekannte Briefe, die Paul Schulz, Jurist und Beamter mit großem Einfluss und Kontakten in höchste Kreise, zwischen 1899 und 1912 an Kraus schrieb, ebenso wie die Briefe der Kraus-Kennerin Mary Gräfin Dobrženský und der französischen Germanistin Germaine Goblot an Helene Kann. Kann hatte als enge Vertraute von Karl Kraus bereits 1925 begonnen, seine Papiere und Korrespondenzen zu archivieren, die den Grundstein für das Karl Kraus-Archiv bilden, das seit den 1950er Jahren Teil des Bestands der Wienbibliothek im Rathaus ist.

> Zum KARL KRAUS-ARCHIV hier

> Digitalisierte Bestände zu Karl Kraus in der WIENBIBLIOTEK DIGITAL hier

KARL KRAUS-PORTAL AUF WIEN GESCHICHTE WIKI

Zum 150. Geburtstag entsteht auf der digitalen Plattform Wien Geschichte Wiki derzeit das Karl Kraus-Portal, das einen erweiterten Diskurs zu diesem wichtigsten und interessantesten Exponenten einer kritischen Moderne ermöglicht. Zu Kraus und zur Wiener Moderne Forschende wie Interessierte sind eingeladen, mit eigenen Einträgen im Wien Geschichte Wiki ihr Wissen einzuschreiben und mit den bestehenden Quellen der Wienbibliothek Digital – die Kraus-Bestände der Wienbibliothek im Rathaus sind fast gänzlich aufbereitet – zu verknüpfen.

»Bereits seit 10 Jahren laden wir mit dem Wien Geschichte Wiki ein die (Kultur-)Geschichte Wiens partizipativ zu schreiben. Indem wir unsere Sammlungen zum Gedächtnis der Stadt auch digital für alle zugänglich machen, entstehen durch das Wissen der Vielen neue Erkenntnisse und Perspektiven«, so Wienbibliothek-Direktorin Anita Eichinger. »Es ist für unsere demokratische Gesellschaft von immenser Wichtigkeit, im digitalen Raum gesichertes, fakten- und quellenbasiertes Wissen zu schaffen und anzubieten.«

Das Anliegen der Wienbibliothek im Rathaus, Karl Kraus durchaus kritisch in Kontext zu setzen, ermöglicht es auch, problematische Aspekte seiner Person und seines Werkes wie Antisemitismus oder Misogynie öffentlich zu thematisieren und zu debattieren. Geplante Kooperationen mit weiteren Institutionen wie dem Brenner-Archiv der Universität Innsbruck sollen Bestände und Wissen um Karl Kraus im Digitalen zusammenwachsen lassen.

> Zum KARL KRAUS-PORTAL hier

AUSSTELLUNG

»Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben – Die Familie des Satirikers Karl Kraus« (ab 26. April 2024)

Der 1874 geborene Karl Kraus begann sich bereits in jungen Jahren mit der Wiener Literaturszene, der österreichischen Gesellschaft und der gesamten deutschsprachigen Presse anzulegen. Mit seiner Zeitschrift „Die Fackel“ sowie durch öffentliche Kampagnen und Auftritte wurde er schließlich zur gefeierten wie gefürchteten kritischen Instanz seiner Zeit. Zum privaten Kraus ist bisher nur wenig bekannt, hielt er doch seine Familie sowie seine Lieb- wie Freundschaften aus der Öffentlichkeit heraus – und postulierte: »Das Wort ›Familienbande‹ hat einen Beigeschmack von Wahrheit.«

Die mondäne und progressive Kraus-Dynastie, die sich vom böhmischen Jičín aus in der Welt des mitteleuropäischen Großbürgertums etablierte, blieb daher bis heute großteils im Verborgenen. Die Wienbibliothek im Rathaus, die mit dem Karl Kraus-Archiv einen bedeutenden Bestand zu diesem zentralen Vertreter der Wiener Moderne beherbergt, zeigt mit der Ausstellung »Das Familienleben ist ein Eingriff in das PrivatlebenDie Familie des Satirikers Karl Kraus« (ab 26. April 2024) dass Kraus zeitlebens Teil einer faszinierenden jüdischen Großfamilie war, über der heute der Schatten der Shoah liegt. Zum 150. Geburtstag von Karl Kraus präsentiert die Schau Postkarten, Memorabilien und Geschichten der Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen, die bisher hinter dem berühmten Sohn, Bruder und Onkel unsichtbar blieben.

VERANSTALTUNGSHINWEISE

AUSSTELLUNG »Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben – Die Familie des Satirikers Karl Kraus«
ab Freitag, 26. April 2024, Wienbibliothek im Rathaus
Ausstellungseröffnung: Donnerstag, 25. April 2024, 18.30 Uhr, Volkshalle im Wiener Rathaus

WIENER VORLESUNG zu Karl Kraus
mit einer Lesung von Karl Markovics
Vortrag von Katharina Prager, Gespräch mit Gerald Krieghofer
Montag, 29. April 2024, 19.00 Uhr, Gartenbaukino
Alle Veranstaltungen der Wiener Vorlesungen hier

Eine Kooperation mit den Wiener Festwochen.

Eine Festwochen-Reihe von Kraus Lectures ist in Vorbereitung.

LITERATURHINWEIS

Katharina Prager, Simon Ganahl (Hg.)
Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung
Berlin, J.B. Metzler, 2022, 545 Seiten
ISBN: 978-3-476-05803-4 (Hardcover)
ISBN: 978-3-476-05804-1 (eBook)

Links

Presseinformation: 150. Geburtstag von Karl Kraus in der Wienbibliothek im Rathaus (PDF)

Pressekontakt und Bildmaterial-Anfragen:

vielseitig ||| Mag.a Valerie Besl
t: +43 1 522 4459 10, m: +43 664 8339266, valerie.besl@vielseitig.co.at

Wir bitten Sie, im Rahmen Ihrer Berichterstattung auf die Wienbibliothek im Rathaus hinzuweisen.

Fotografie von Karl Kraus in Kuchelna, Fotografin: Mechtilde Lichnowsky, 1920. Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Karl Kraus – Anita Kössler, HIN-235404
Brief von Karl Kraus an Irma Karczewska, verheiratete Haselhoff, vom 24.06.1910. Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Karl Kraus – Marcel Faust, ZPH-2007, 2.2.1.17
Von Karl Kraus korrigierte Seite aus einem frühen Typoskript zur „Dritten Walpurgisnacht. Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Karl Kraus – Marcel Faust, ZPH-2007, 1.1.6
Erste Seite von Frank Wedekinds Gedichtmanuskript „Confession“ für den Abdruck in der „Fackel“. Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Karl Kraus – Marcel Faust, ZPH-2007, 4.1.3.2