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Wohin der Krieg führt. Wien im Ersten Weltkrieg

Ort und Zeit

15. November 2013 bis 23. Mai 2014
Ausstellungskabinett der Wienbibliothek im Rathaus
Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6, 1. Stock, 1082 Wien
Öffnungszeiten: werktags Mo-Do 9.00-18.30 Uhr, Fr 9.00-16:30 Uhr

Zur Ausstellung

Das Trauma

Das Kriegsgeschehen erreichte Wien durch die in den Zeitungen publizierten Toten- und Vermisstenlisten, durch die Ankunft der hunderttausend Verletzten und Flüchtlinge, aber es hat die Stadt nicht direkt betroffen.

Und doch standen die Jahre 1914 bis 1918 genauso im Zeichen eines "totalen Krieges", der Zerstörungen anderer Art hinterließ. Im Gedächtnis der Groß- und Urgroßeltern wurde der Erste Weltkrieg assoziiert mit Hunger, Kälte und Entbehrungen, mit Brot- und Kartoffelkarte, Tuberkulose und Spanischer Grippe sowie einer stark erhöhten Sterblichkeitsrate.
Die Qual der alltäglichen Überlebenskämpfe, die demütigenden Erlebnisse des Anstellens und Hamsterns, die Erfahrungen von Ablehnung und Ausgrenzung im Wiener Umland schufen ein Klima des Aufruhrs – und ein Trauma, das nicht so schnell vergessen werden sollte. All das war allerdings das Fundament für einen radikalen Politikwechsel.

Die physischen und psychischen Verwüstungen des Ersten Weltkriegs schrieben die Vorgeschichte einer neuen Sozialgesetzgebung, einer gesellschaftlichen Demokratisierung, einer grundlegenden Gemeindewahlrechtsreform, eines großen Wohnbauprogramms. Überdies hinterließ der Erste Weltkrieg Wien mit einer gebrochenen politischen Identität.
Die Rolle der Reichshaupt- und Residenzstadt war ausgespielt.

Eine Stadt stirbt

Noch 1916 priesen die Feuilletonisten die neue Schlankheit. "Durchhalten!" wurde zur propagandistischen Parole der Stunde. Das Gros der Bevölkerung war längst unterernährt, Kleider und Anzüge passten nicht mehr, Mittel gegen Krätzmilben waren stark nachgefragt, Schuhe und Ledersohlen wurden zum hoch begehrten Gut. Müllabfuhr und Schneeräumung funktionierten nicht mehr, der Straßenbahnverkehr wurde zur Qual. Landgemeinden taten mit Tafeln kund, dass "Hamsterer", Ausflügler und Sommerfrischler aus Wien unerwünscht seien. Die Wiener Bevölkerung fühlte sich eingesperrt, vergessen von Regierung und Verwaltung. Jugendliche zogen auf der Suche nach Nahrung plündernd durch die Stadt. Die Stimmung war aggressiv, die Klage über die Kriegsgrobheit allgegenwärtig, Rücksicht und Höflichkeit blieben im Überlebenskampf auf der Strecke.

Die Urbanität starb. Autos und Fiaker waren von den Straßen verschwunden, in den Schaufenstern dominierte die Leere, viele Waren gab es nicht mehr, an den versperrten Türen der Restaurants hieß es: "Bis Kriegsende geschlossen". Bis auf einige wenige Ausnahmen wurde jegliche Bautätigkeit eingestellt, viereinhalb Jahre lang gab es kaum Renovierungen. Der U-Bahn- Bau blieb mit Kriegsbeginn in der Planungsphase stecken.

Noch einmal Hauptstadt der Monarchie

Es gehört zu den Pikanterien des Krieges, dass Wien in seiner gesamten Geschichte just zu einem Zeitpunkt einen Einwohner- Höchststand erreichte, als hunderttausend Wiener weit weg von ihrer Heimatstadt an der Front im Einsatz waren. Hotels und Pensionen waren in der Endphase des Krieges überbelegt. Die Chance, eine Wohnung anzumieten, war gleich null. Neuankömmlinge hatten größte Mühe, irgendwo eine Bettstelle zu bekommen. Wien wurde in nie gekanntem Ausmaß noch einmal zum zentralen Knotenpunkt: Wien war Kasernenstadt für Soldaten aus der ganzen Monarchie geworden, in Wien war die zentrale Verwaltung aller Kriegsanstrengungen massiert, Wien verwandelte sich zur Lazarettstadt.

Allein bis zum März 1915 landeten 260.000 Verwundete in Wiener Spitälern. Die Hälfte aller Schulen, das Parlament oder die Universität wurden als Hilfsspitäler benützt. Zeitweise hielten sich bis zu 200.000 Flüchtlinge aus dem Osten und Süden in Wien auf. Wien wurde zum Zentrum der Kriegswirtschaft und zog Arbeitskräfte aus der ganzen Monarchie an. Die Wiener Bahnhöfe bildeten die Relaisstationen dieser Bewegungsströme. In Summe ließen die genannten Personenströme die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner und temporären Gäste auf weit über 2,4 Millionen klettern.

Die Kriegssammlung

Auf Betreiben des christlich-sozialen Bürgermeisters Richard Weiskirchner wurde während des Ersten Weltkriegs in den damaligen Städtischen Sammlungen (heute: Wienbibliothek und Wien Museum) eine "Kriegssammlung" angelegt. Selbst der Bürgermeister war aktiv, als es galt, die "Große Zeit" des imperialen Aufbruchs zu dokumentieren. Er schickte ihm gewidmete Publikationen und an ihn ergangene Briefe, hieß allen Magistratsabteilungen per Dekret, sämtliche Plakate aufzuheben, und sammelte bei seinen Reisen an die Front verschiedene Objekte als Kriegserinnerungen ein. Als bei den vielen Charity-Aktionen eine Flut von Bildpostkarten, Kokarden, Lesezeichen, Vivatbändern, Medaillen, Verschlussmarken und Kunsthandwerk die Stadt überschwemmte, zweigten die Städtischen Sammlungen stets Exemplare ab.

Sie arbeiteten mit Gerichten und der Zensur zusammen, um auch an Bücher aus dem feindlichen Ausland zu kommen. Selbstverständlich wurden auch Brot-, Kaffee- oder Kartoffelkarten in die Bestände eingebracht.

Die kuriosesten Stücke sind das konservierte "Kriegsbrot" oder die Fläschchen mit den Ersatzmitteln. Die historiografisch interessanteste Hinterlassenschaft bildet die 604 Bände umfassende Zeitungsausschnittsammlung.

Wien im Ersten Weltkrieg – digital

Bestände in der Digitalen Bibliothek auf http://www.digital.wienbibliothek.at: Die "digitale Wienbibliothek" präsentiert auch qualitativ hochwertiges Material zur Erforschung des Ersten Weltkriegs. Rund 120.000 Zeitungsausschnitte, zwischen 1914 und 1918 in über 600 Bänden gesammelt, stehen thematisch und chronologisch indexiert sukzessive zur Verfügung und erschließen das Alltagsleben, die Versorgung Wiens, die Innenpolitik wie auch das Geschehen an der Front.
Nicht nur Artikel österreichischer Zeitungen, sondern auch ungarische, deutsche und Schweizer Blätter wurden berücksichtigt. Darüber hinaus macht die Digitale Wienbibliothek einen Teil ihres Druckschriften-Bestandes zum Ersten Weltkrieg zugänglich.

Der optisch attraktivste Schatz sind ca. 2.000 Plakate aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.

Eine besonders brisante Quelle, die Stimmungsberichte der Polizeidirektion Wien, wird hier ebenfalls erstmals veröffentlicht.

Die Wienbibliothek im Rathaus und das Wiener Stadt- und Landesarchiv führen einen Blog, der die Geschichte der Stadt von 1914 bis 1918 erzählt. Eine Kooperation mit dem Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien.

Publikation

Das Buch zur Ausstellung entstand als Gemeinschaftsprojekt des Wiener Stadt-und Landesarchivs, der Wienbibliothek im Rathaus sowie dem Verein für Geschichte der Stadt Wien. Der reich bebilderte Band entwirft in 59 Beiträgen von HistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen sowie einer Chronologie ein umfassendes Bild der stadtgeschichtlichen Zäsur.

Alfred Pfoser / Andreas Weigl (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg
700 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, EUR 35
Metro Verlag 2013
978-3-99300-142-1

Weitere Ausstellungen

Wiener Stadt- und Landesarchiv
Mangel–Hunger–Tod. Die Wiener Bevölkerung und die Folgen des Ersten Weltkriegs
Ausstellungsfoyer des Wiener Stadt- und Landesarchivs im Gasometer D,
3. März bis 29. August 2014

Jüdisches Museum Wien
Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg
2. April 2014 bis 14. September 2014

Wienbibliothek im Rathaus
"Es ist Frühling und ich lebe noch". Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs in Infinitiven
Ausstellungskabinett der Wienbibliothek im Rathaus
5. Juni 2014 bis 30. Jänner 2015

Wien Museum
Wien im Ersten Weltkrieg. Stadtalltag in Fotografie und Grafik
8. September 2014 bis 11. Jänner 2015

Renaissanceschloss Schallaburg
Jubel & Elend. Leben mit dem Großen Krieg 1914-1918
29. März bis 9. November 2014

Gehschule für Kriegsinvalide im Kriegsspital Ottakring (1915), Wienbibliothek im Rathaus
Brotverkauf in der Thaliastraße. Wien Museum
Mehlkarte (1918). Weltkriegskonvolut Nr. 1109, Wienbibliothek
Annahmestelle für Gummireifen in der Volkshalle im Wiener Rathaus. Das interessante Blatt, 1915, Wienbibliothek