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Neu in der Benützung: Familienarchiv Radio-Radiis / Mataja / Frenkl (ZPH 1725)

Rosa Sophie Radio als Drummerin der Jazzladies, ZPH 1725, Archivbox 3, 5.4.4.2., Wienbibliothek im Rathaus

Im Jahr 2016 konnte die Wienbibliothek ein umfangreiches Teilarchiv der Familien Radio-Radiis, Mataja und Frenkl in einem Wiener Auktionshaus erwerben. Am bedeutendsten sind zweifelsfrei die darin enthaltenen Materialien zu Viktor Mataja (1857–1934), dem Ökonomen und Politiker, der 1917 für kurze Zeit ein Ressort für soziale Fürsorge übernahm und damit als der erste Sozialminister weltweit gilt, der ein solches Amt bekleidete. Außergewöhnlich dicht ist die Überlieferung an Lebensdokumenten, die Matajas Biographie von der Wiege bis zur Bahre sowie seine berufliche Laufbahn beleuchten. Bei der Korrespondenz überwiegen die Stücke von und an seine Frau Caroline Mataja (1862–1943), die aus dem weitläufigen Adelsgeschlecht derer von Radio-Radiis stammt. Ihr Bruder Alfred Radio von Radiis (1875–1957) dürfte der bekannteste Spross der Familie sein, der sich nicht nur als Alpinist, sondern vor allem als Mitbegründer der Österreichischen Saurerwerke im Kraftfahrzeugbau hervortat.

Ihre Schwester Amelie war die Gattin des berühmten Bildhauers und Medailleurs Heinrich Kautsch (1859–1943). Der Bruder Karl Radio von Radiis (1870–1929) kaufte um 1900 das Schloss Baslan in Südtirol und baute es im historistischen Stil um. Dieser Stammsitz der Familie und etliche Treffen derer von Radio-Radiis finden sich in mehreren Fotoalben auf das Schönste dokumentiert.

Ein weiterer Bruder, Gaston Radio von Radiis (1880–1959), mutierte zum Globetrotter. Schon seine Hochzeitsreise hatte ihn 1913 nach Indien und Ceylon geführt, nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte er nach Südafrika aus, wo er die Farm Bellevue Vryheid erwarb. Von ihm haben sich zahlreiche Tagebücher erhalten, die nicht nur das Leben auf der Farm, sondern auch Expeditionen in andere Regionen Afrikas schildern.

Bleibt eine Schwester: Mathilde Radio von Radiis. Sie heiratete gegen Ende des 19. Jahrhunderts den aus Przemyśl stammenden Alphons Frenkl (1872–1934), dessen Familie eine große Mühle ihr eigen nannte. Bei ihm wurde jedoch um 1903 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert, die zu seiner Einweisung in die private Nervenheilanstalt Neufriedenheim (München) führte, wo Frenkl bis zu seinem Tod mehr als drei Jahrzehnte lang interniert blieb. Zu den Schätzen des Bestands zählen nicht nur mehr als 70 Briefe des weggesperrten Mannes an seine in Wien lebende Frau, die seinen Verfall auch aus graphologischer Sicht vor Augen führen, sondern auch mehr als 30 Schreiben der Neufriedenheimer Ärzteschaft, die über den Zustand von Alphons Frenkl in schöner Regelmäßigkeit Auskunft geben. Am häufigsten meldet sich der Klinik-Eigentümer persönlich, Ernst Rehm (1860–1945), übrigens ein ehemaliger Mitarbeiter des Nervenarztes Bernhard von Gudden, der 1886 mit dem ebenfalls internierten bayerischen König Ludwig II. im Starnberger See ertrank. Aus diesen Papieren geht auch hervor, dass die Internierung in einer Privatklinik zur Verarmung Mathilde Frenkls führte. Besonders deutlich wird dies anhand einer Rechnung, die während der galoppierenden Inflation in den 1920er Jahren gestellt wurde – in Dollar. Insgesamt ein beeindruckendes Stück Psychiatriegeschichte.

Das umfänglichste Konvolut stammt schließlich von Rosa Sophie Radio (1899–1974), einer Tochter von Mathilde Frenkl. 1949 begründete sie das noch heute existierende Tierheim Dechanthof („Die gute Tat“). Spektakulär wird der Bestand aber durch eine andere Tätigkeit, der sie unter dem Pseudonym Ninon Fleuron bis 1938 nachging: Sie war die Leaderin einer Wiener Damenjazzband („The Ninon Fleuron Jazz Ladies“), die seit 1926 an zahlreichen Orten im deutschsprachigen Raum (und darüber hinaus) auftrat. Die Geschichte dieser Formation, die mit dem Einmarsch Hitlers in Österreich ihr Ende fand, lässt sich mittels zweier Tourbücher, die zahlreiche eingeklebte Zeitungsausschnitte und Fotografien von Auftritten und Spielorten enthält, bestens nachvollziehen. Zudem enthalten die Scrapbooks zahlreiche handschriftliche Widmungen und Eintragungen von Fans und Gästen, darunter so bekannte Anhänger wie Heinrich und Viktor Mataja, Emil Marriot, Hansi Niese, Emmy Schleinitz, Felix Rosenthal, Else Panto, Alfred Grünfeld, Alexander Moissi, Willi Ostermann, Hans Ranzoni, Edmund Eysler, Alexander Netzl, Leo Glückselig, Fritz Kruh, Otto Meseth, Carl Joisten, Carl Friedemann, Jules Krott, Christl Giampietro und Eishockey-Crack Heini Lohrer vom Zürcher SC.

Link in den Katalog

Die Ninon Fleuron Jazzladies. Werbepostkarte, um 1932. Foto: Edmund Pech, Wien, ZPH 1725, Archivbox 3, 5.4.4.2., Wienbibliothek im Rathaus
Viktor Mataja, um 1890, ZPH 1725, Archivbox 1, 1.4.22., Wienbibliothek im Rathaus