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Objekt des Monats Juni 2022: „Die Welt der Plakate“

Originalmanuskript von Karl Kraus

Karl Kraus: Die Welt der Plakate. Eigenhändiges Manuskript, Blatt 1 von 9. H.I.N. 249405, Wienbibliothek im Rathaus

Im März 2022 konnten wir in einem Wiener Auktionshaus das Original eines Grundtextes der Wiener Moderne ersteigern: Karl Krausʼ eigenhändiges Manuskript des Essays „Die Welt der Plakate“ aus dem Jahr 1909. Kleine eigenwillige Kurrenthandschrift in schwarzer Tinte auf neun Seiten mit geprägter Linierung: Für eine Institution, die nicht nur das Karl-Kraus-Archiv, sondern auch eine der weltweit größten Plakatsammlungen beherbergt, ist die Erwerbung von „Die Welt der Plakate“ ein Glücksfall.

Grundtext der Wiener Moderne

Kraus beginnt seinen Essay mit einem Blick ins Wien der 1880er-Jahre: „Schon als Kind war ich weniger darauf erpicht, das Leben aus den großen Werken der Kunst zu empfangen, als aus den kleinen Thatsachen des Lebens es zu ergänzen.“ Die kleinen Tatsachen sind hier die Plakate, Sujets und Slogans, die am Ende des 19. Jahrhunderts das Aussehen einer Großstadt zu beherrschen beginnen. Sie drängen sich den Passant*innen auf, die in erster Linie als potenzielle Kund*innen und Konsument*innen angesehen werden. Kraus montiert eine Unmenge an Werbesprüchen der Zeit um 1900, beschreibt die dazugehörigen Plakatsujets und Testimonials. So wird ein schillernder Bestandteil des Wiener Stadtbildes dokumentiert, zu einer Zeit, als zu den vielen Einzelhändlern und Handwerkern die großen Warenhäuser wie Gerngross oder Herzmansky hinzukamen.

„Kein Entrinnen!“

„Kein Entrinnen!“ heißt es im Zentrum dieser satirischen Abrechnung mit der kapitalistischen Welt der Waren. Von da an nimmt der Text unabwendbar seinen Lauf ins Unheimliche: Die Werbesprüche und -gesichter verfolgen den gepeinigten Städter bis in die Träume, treiben ihn in den Wahnsinn, bis schließlich der Slogan eines Waffenhändlers Erlösung verspricht und den Horror beendet: „Morde dich selbst!“

Wenn man das Manuskript von „Die Welt der Plakate“ mit anderen, typischen Kraus-Manuskripten vergleicht, fallen zwei Besonderheiten auf. Erstens schrieb Kraus unterhalb des Titels seinen Namen samt der Ortsangabe „(Wien)“. Zweitens wirkt die Schrift wie gezähmt, sie ist relativ gut lesbar und die Zeilen biegen sich nicht, wie sonst oft bei Kraus, nach oben (vgl. Bildbeispiel). Beide Merkmale sowie die Setzervermerke mit blauem Kopierstift deuten darauf hin, dass man es bei dem Manuskript mit der Druckvorlage für den Erstdruck des Essays in der Münchner Satirezeitschrift „Simplicissimus“ vom 14. Juni 1909 zu tun hat. Der zweite Druck erfolgte knapp zwei Wochen später in der Nummer 283/284 der „Fackel“. Kraus bemerkte auch bald, dass der witzige, spannungsvoll gebaute Text überaus gut beim Live-Publikum ankam. Und so setzte er ihn bei seinen Vorlesungen gern als Zugabe ein.


Bildbeispiel: Karl Kraus: Glosse "Ein weiterbreitetes Mißverständnis". Eigenhändiges Manuskript. H.I.N. 174726, Wienbibliothek im Rathaus

Quelle

  • Edward Timms: Karl Kraus. Satiriker der Apokalypse. Aus dem Englischen von Max Looser und Michael Strand. Wien: Deuticke 1995, S. 203–208.

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