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Neues zu Karl Kraus’ „Dritter Walpurgisnacht“. Überlieferung, digitale Edition und Kommentar | 25.06.2024

Aus der Forschungswerkstatt

Im Bild: erste Seite des Walpurgisnacht-Fragments aus der „Sammlung Karl Kraus – Marcel Faust“ (Wienbibliothek im Rathaus, ZPH-2007) und das Fackel-Heft, in dem Teile der späteren „Dritten Walpurgisnacht“ veröffentlicht wurden.

Ort und Zeit

Dienstag, 25. Juni 2024, 17.00 Uhr
Loos-Räume der Wienbibliothek
Bartensteingasse 9/5, 1. Stock, 1010 Wien

Vor Ort / *ausgebucht*

Zur Veranstaltung

Anfang 1933 schockierte die nationalsozialistische Machtübernahme in Deutschland ganz Europa. In Wien versuchte der österreichische Satiriker Karl Kraus, der als Stimme gegen den Ersten Weltkrieg internationale Bekanntheit erreicht hatte, den Ereignissen in einem Text gerecht zu werden, der später den Namen Dritte Walpurgisnacht tragen sollte. Mit seiner bewährten Methode des genauen Zeitungslesens und indem er das Leid der Einzelnen, das da berichtet wurde, so ernst nahm wie das Geschehen auf der politischen Bühne, begann er den Ausbruch der Barbarei auf allen Ebenen der Gesellschaft zu dokumentieren. Er beschrieb die Folterungen in den frühen Konzentrationslagern, die Gewalt auf den Straßen, die Lügen der Propaganda ebenso wie die Reaktionen von Intellektuellen, die vielfach zu „Worthelfern der Gewalt“ wurden.

Im September 1933 beschloss er aber, den bereits gesetzten, fast 400-seitigen Text nicht zu publizieren. Er fürchtete Konsequenzen für sich und sein Publikum und stellte fest, dass Satire gegen diese Gewaltphänomene nichts mehr ausrichten konnte: „Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.“ Kraus’ Arbeit des ersten Halbjahres 1933 wurde 1952 erstmals posthum veröffentlicht. Dieser Text gilt heute als eine der hellsichtigsten Analysen von Sprache und Realität des Nationalsozialismus und beginnt mit dem oft missverstandenen und falsch zitierten ersten Satz „Mir fällt zu Hitler nichts ein“.

Jenes Sprachkunstwerk, mit dem Kraus zu Hitler und dessen auf Propagandalügen aufgebauter Gewaltherrschaft höchst Bedeutendes einfiel, wurde seiner Anhängerschaft im In- und Ausland zu seinen Lebzeiten nur ausschnittsweise durch ein Fackel-Heft mit dem paradoxen Titel Warum die Fackel nicht erscheint bekannt. Kraus, der sich zunehmend unverstanden fühlte, begann sich zurückzuziehen. Er starb 1936; den von ihm wie nichts sonst gefürchteten ‚Anschluss‘ 1938 erlebte er nicht mehr.

Freundinnen und Freunde retteten seinen Nachlass ins Exil. Damit begann auch die komplexe und komplizierte Überlieferungs- und Editionsgeschichte der Dritten Walpurgisnacht. Bernhard Oberreither, der sich intensiv mit Kraus’ Schreiben im Jahr 1933 auseinandergesetzt hat und dieses Hauptwerk der späten Jahre des Autors in der digitalen Edition Kraus 1933 präzise aufarbeitet, spricht über Textgenese, Überlieferungsgeschichte, seine Arbeit sowie über neue Textstufen der Dritten Walpurgisnacht, die u.a. mit dem Ankauf der hochkarätigen Sammlung Karl Kraus ­ Marcel Faust im Herbst 2023 an die Wienbibliothek im Rathaus kamen.

Die Veranstaltung stellt das Editionsprojekt Kraus 1933 vor.

Zur Veranstaltungsreihe

Unsere Reihe „Aus der Forschungswerkstatt“ ist als Werkstattgespräch angelegt, das Einblick in Forschung „in progress“ gibt und Möglichkeiten zur Diskussion sowie zur Vernetzung bietet. Es holt jene Menschen vor den Vorhang, die sich forschend mit unseren Beständen befassen und anhand derer vielfältige spannende Fragen bearbeiten.

Programm

Im Gespräch
Bernhard Oberreither, Literaturwissenschaftler – Österreichische Akademie der Wissenschaften
Katharina Prager, Historikerin – Wienbibliothek im Rathaus