
Objekt des Monats Dezember 2020: Kinderweihnacht Anno Dazumal
Einen Einblick, wie Weihnachten im gutbürgerlichen Wien zu Kaisers Zeiten gefeiert wurde, gibt der "Preis-Bericht" des Wiener Sport- und Spielwarenhauses Wilhelm Pohl für das Weihnachtsfest 1904. Das Cover zeigt zwei Kinder vor einem Christbaum, der mit Engelshaar, Eis- und Schneeballgirlanden, Glaskugeln und Glasperlen-Stickereien aufgeputzt ist, die Kerzen in Lichthaltern nach den neuesten Patenten – allesamt Waren, die man im Inneren des Katalogs auch bestellen konnte: Der reich illustrierte Katalog ließ kaum Wünsche offen!
Blättern Sie im digitalisierten historischen Spielwarenkatalog.
Natürlich liegt das Hauptaugenmerk darin nicht auf Artikeln, die zur Dekoration des, sondern zur Ablage unter dem Christbaum bestimmt waren: den Spielsachen für die Kinder. Schon seit einem halben Jahrhundert war das Haus Wilhelm Pohl in der Mariahilfer Straße 5 eine der ersten Adressen für Kinderträume gewesen. Wilhelm Pohl (sen.) hatte hier im Jahr 1854 sein gut sortiertes Großhandelsgeschäft eröffnet, das von seinem Sohn Wilhelm Pohl (jun.) 1893 durch ein modernes Gebäude im Ringstraßenstil ersetzt wurde. In der Folge wurde das Handelsunternehmen mit dem Titel „Hoflieferant“ geadelt und eröffnete eine Filiale in der Kärntner Straße. 1919 übernahm Wilhelm Ehrlich, der Enkel Wilhelm Pohls, die Leitung des Hauses, das im Familienbesitz auch den Zweiten Weltkrieg überlebte, um erst in den 1980er-Jahren seine Auslagen für immer zu schließen.
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Geschlechtsspezifische Rollenbilder, Krieg und Antisemitismus
Welcher Art waren nun die Geschenke, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts auf dem bürgerlichen Gabentisch landeten? Vielleicht noch stärker als in den Spielwarenkatalogen von heute, die durch ihre blau-rosa-Dichotomie förmlich ins Auge stechen, waren die Angebote zu Zeiten der ausgehenden Donaumonarchie überaus geschlechtsspezifisch gestaltet. Auf über 45 Seiten waren die „Beschäftigungen für Knaben“ gelistet: Praktisch alles zum Thema Kunst und Kreativität, Bau- und Setzkästen, aber natürlich vor allem Technik und Modellbau waren für die Buben der Reichshaupt- und Residenzstadt vorgesehen. Im Gegensatz dazu mussten sich die Mädchen mit nur zehn Seiten, vorwiegend Handarbeit und Ankleidespiele, begnügen. Es folgen eigene Rubriken, die dann doch für beide Geschlechter geeignet waren, darunter Gesellschaftsspiele, Bilderbücher, Blechspielsachen, aber auch Möbel, Fahrzeuge und Schaukelpferde, Verkleidungen, Musikinstrumente und Kindergeschirr. Den Mädchen wurde darüber hinaus noch eine große Auswahl an Puppensachen und Puppen angeboten, deren kleinste unter der Bezeichnung „Bébés (Gelenktäuflinge)“ (S. 169) – für heutige Ohren etwas ungelenk – beworben worden. Buben hingegen bekamen ein auffallend breites Sortiment an Kriegsspielzeug vorgesetzt: Es waren dies die Miniaturversionen jener Uniformen, Schusswaffen und Kanonen, die die kleinen Soldaten schon zehn Jahre später an den echten Frontlinien quer durch Europa ausprobieren durften.
Und es wäre nicht Wien unter Bürgermeister Karl Lueger, hätte sich da nicht auch eine Portion Antisemitismus in die Kinderzimmer geschlichen: Den „kleinen Koen“, eine stereotypisch gestaltete, jüdische Gestalt mit Hakennase und Hut, konnte man im Kaufhaus Wilhelm Pohl nicht nur als mechanisches Blechspielzeug (S. 130), sondern auch als „Jux-Artikel“ erwerben, um ihn – leider kein Scherz! - „angezündet verbrennen und in der Höhe verschwinden“ (S. 99) zu lassen.
Digital verfügbar
Neben dem Preis-Bericht für 1904/05, in dem das Weihnachtssortiment des Jahres 1904 enthalten ist, hat sich noch ein zweites Heft aus dem Jahr 1902 in der Sammlung der Wienbibliothek im Rathaus erhalten. Beide befinden sich in unserer Digitalen Bibliothek und können auch zu Lock-Down-Zeiten bequem von zuhause aus durchgeblättert werden.
Sowie einen Spielwaren-Katalog von 1933/34.
Archiv der Objekte des Monats 2020:
- Novemeber 2020: Robert Danneberg – „Vater“ der Wiener Stadtverfassung
- Oktober 2020: "Hauer Practic" - Ein Winzerkalender aus dem Jahre 1589
- September 2020: Theater-Kabarett Hölle
- August 2020: Hundert Jahre Salzburger Festspiele
- Juli 2020: "Sara! nimb den Jäckl mit ..." - Ein antijüdisches Spottgedicht anlässlich der Vertreibung der Juden aus Wien im Juli 1670
- Juni 2020: "Wien begrüße seinen heimgekehrten Altbürgermeister"
- Mai 2020: "Ein Walzertraum" und ein doppeltes Geburtstagsjubiläum
- April 2020: I. Hochquellenleitung Wiens
- März 2020: 250 Jahre Hausnummern in Wien
- Februar 2020: Der Faschingskrapfen hat wieder Saison
- Jänner 2020: Zur Eröffnung des Beethoven-Jahres 2020 - Ouvertüre zum Festspiel "Die Weihe des Hauses"