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Felix Salten zurück in Wien. Umfangreicher Nachlass in der Wienbibliothek im Rathaus

Ausstellung "Im Schatten von Bambi" zeigt die vielen Facetten des Tausendsassas

Anlässlich seines 75. Todestages erhellt eine Ausstellung und ein umfangreiches Begleitbuch von Wienbibliothek im Rathaus und Wien Museum die vielen Facetten Felix Saltens (1869–1945): Sie präsentieren ihn als einflussreichen Journalisten, mächtigen Kulturkritiker, experimentierfreudigen Theatergründer und bedeutenden Protagonisten des kulturellen Lebens der Wiener Moderne. Korrespondenzen mit Zeitgenoss*innen zeigen ihn als Mitstreiter des literarischen Netzwerks „Jung Wien“ um Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler. Mit Tierbüchern wie „Bambi“ feierte er internationale Erfolge als Bestsellerautor. „Als Chronist seiner Zeit dokumentierte Salten das tägliche Geschehen in Taschenkalendern. So sind die Einträge vor seiner Flucht in die Schweiz 1938/39 ein maßgeblicher Beitrag für die Kulturgeschichte der Stadt“, erklärt die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler.

„Zentrale Grundlage der Ausstellung ist Felix Saltens Nachlass, der 2015 und 2018 von der Wienbibliothek im Rathaus erworben wurde“, so Kaup-Hasler weiter. Dieser eröffnet mit zahlreichen Fotos, Lebensdokumenten, dem Manuskriptarchiv und besonders der Briefsammlung mit ca. 700 Korrespondenzpartner*innen (u. a. Karl Kraus, Heinrich und Thomas Mann, Berta Zuckerkandl, Stefan Zweig) einen weiten Blick auf Leben und Wirken des Tausendsassas. Hinzu kommt die Nachlassbibliothek mit über 2.300 Büchern, die unikale Arbeits- und Handexemplare, zahlreiche Widmungen und eine Belegsammlung seiner Werke enthält.

„Mit Felix Salten sehen wir einmal mehr, dass auch Bibliotheken von unschätzbarem Wert sowie wichtige Zeitdokumente wie Schrift- und Korrespondenzstücke ins Exil gehen. Umso mehr freut es mich, dass es der Wienbibliothek im Rathaus gelungen ist, den Nachlass wieder zurück nach Wien zu holen, um ihn zu bewahren und zugänglich zu machen. Tribut dafür muss vor allem meiner Vorgängerin Sylvia Mattl-Wurm gezollt werden“, betont Wienbibliothek-Direktorin Anita Eichinger. „Die Grundlagen für die meist neuen Erkenntnisse zum Leben und Schaffen von Felix Salten, die auch im Katalog zur Ausstellung versammelt werden, verdanken sich der umfassenden Forschungstätigkeit des Leiters der Handschriftensammlung der Wienbibliothek, Marcel Atze. So ist es uns einmal mehr gelungen, neue Einblicke in die Kulturgeschichte der Stadt zu ermöglichen.“

DER JOURNALIST

Im deutschsprachigen Raum erlangte Felix Salten zuerst als Journalist eine breite Leserschaft und schillernden Ruhm. Hier hat die Wienbibliothek im Rathaus mit den Beiträger*innen des Begleitbuches entscheidende Grundlagenforschung geleistet, etwa über Saltens Zeit bei der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ und der Wiener Tageszeitung „Die Zeit“, in der er u. a. visionäre Berichte oder unter Pseudonym unterhaltsame Kommentare verfasste. Die Auflagenzahlen ebenso emporschnellen ließ auch seine Berichterstattung für die „Berliner Morgenpost“ über das Erdbeben von San Francisco 1906 – ein frühes Dokument von Fake News, da Salten über das Ausmaß der Katastrophe nur mutmaßen konnte.

„Über den Journalisten Salten kursieren zahlreiche Klischees, vor allem eilt ihm der Ruf des Skandal- und Klatschreporters voraus, weil er auf der Suche nach einer guten Story in der Tat bereit war, auch den Boulevard zu bedienen, ja für eine Schlagzeile immer ans Limit zu gehen und bisweilen auch darüber hinaus“, so Marcel Atze. „Freilich deckt dieser Aspekt nur einen kleinen Teil von Saltens journalistischer Tätigkeit während eines halben Jahrhunderts ab. Trotz der intensiven Recherche nach unbekannten Zeitungstexten aus Saltens Feder, dürften noch immer hunderte von Artikeln unbekannt sein. Am meisten Aufmerksamkeit verdienen aber ohne Zweifel seine spielerischen, ja kabarettistischen Texte über die gekrönten Häupter Europas, die er nach 1902 unter dem Pseudonym Sascha für ‚Die Zeit‘ verfasste und mit denen er eine ‚Kollektion europäischer Majestäten‘ in riskanter Manier durch den Kakao zog.“

Seinen Erfolg als Journalist belegen auch die lobenden Reaktionen auf seine Zeitungsartikel, von denen einzelne Korrespondenzstücke (etwa von Heinrich Mann, Alice Schalek oder Eugenie Schwarzwald) neben ausgewählten Feuilletons und dem ‚Sensationsbericht‘ zum Erdbeben in San Francisco in der Ausstellung zu sehen sind.

ERSTER WELTKRIEG

Wie viele intellektuelle Zeitgenoss*innen war Felix Salten anfangs ein Trommler für den Ersten Weltkrieg: „Es muss sein!“, rief er den Leser*innen der „Neuen Freien Presse“ am 29. Juli 1914 zu. Saltens Essay war der einzige journalistische Beitrag, der dem kaiserlichen Kriegsmanifest „An meine Völker!“ beigestellt werden durfte, das auf allen Titelseiten der Hauptstadtblätter an diesem Tag veröffentlicht wurde. Auch in seinem Text „Ein Wort vom Barbarentum“, mit dem er sich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen ins neutrale Belgien, mit vielen zivilen Opfern, in den hitzig und feindselig geführten europäischen Diskurs einmischte, spricht er sich für den Krieg aus. Begeistert zeigte er sich in der Folge weiters für Heldengeschichten um den Marineoffizier Hellmuth von Mücke oder den U-Boot-Kapitän Otto Weddigen.

Die Eindrücke von Verletzten, Toten und des Leides der Zivilbevölkerung ließen Salten gegen Ende des Weltkrieges umdenken. Auch er fühlt sich ab 1917 der ideenpolitischen Wende verpflichtet und spricht vom „Verständigungsfrieden“, der einen Frieden mit Kompromissen möglich machen soll. Dies spiegeln auch Saltens zahlreiche pazifistische Zeitungsartikel wieder. Die Ausstellung illustriert dieses komplexe Thema etwa mit Saltens Feuilletons oder Veranstaltungsplakaten zugunsten der Kriegswohlfahrt.

DER SCHRIFTSTELLER – „BAMBI“

Im Dezember 1922 erschien der Roman „Bambi", mit dem Felix Salten seinen Ruhm als Meister der Tiererzählung begründete. Zuerst als unverkäuflicher Flop im Ullstein Verlag erschienen, wurde die Neuauflage im jungen Wiener Zsolnay Verlag 1926 zum Bestseller im deutschsprachigen Raum und Salten, der bis dahin sein Einkommen vornehmlich als Journalist erzielte, konnte von den literarischen Einnahmen leben. Dokumentiert ist dieser Erfolg auch in der Nachlassbibliothek, die rund 100 verschiedene Ausgaben und Übersetzungen von „Bambi“ enthält.

Vor allem die amerikanische Ausgabe von 1928 und eine US-Buchclub-Ausgabe im selben Jahr mit einer Startauflage von 50.000 Exemplaren machten Salten auch international zur Berühmtheit. Belegt ist dies mit einer Reihe von Fotos, die 1930 im Rahmen einer journalistischen Reise durch die USA entstanden: Prominente wie Buster Keaton, Marlene Dietrich oder Henry Ford wollten stets direkt neben dem Bestsellerautor von „Bambi“ stehen. 1942 schließlich kam Disneys „Bambi“ als dessen erster abendfüllender Trickfilm in die Kinos.

Kaum minder populär waren seine übrigen Tierbücher, die nicht nur für Kinder geschrieben waren, sondern die durch die Thematisierung gesellschaftlicher Zeitfragen und des Verhältnisses von Mensch und Tier als „All Ager“-Bücher funktionierten, so auch seine Romane „Fünfzehn Hasen. Schicksale in Wald und Feld“ (1929) oder „Florian. Das Pferd des Kaisers (1933). Disney sollte später weitere Figuren aus Saltens literarischem Reich entlehnen, u. a. mit dem Film „Perri“ 1957 nach der Erzählung „Die Jugend des Eichhörnchens Perri“.

DER SCHRIFTSTELLER — „MUTZENBACHER“ UND „ALBERTINE“

Abseits von „Bambi“ ist Felix Salten heute vor allem als vermeintlicher Autor des skandalträchtigen Romans „Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“ (1906) bekannt – auch wenn dieser sich nie zur Autorenschaft bekannte und im ganzen Nachlass kein Hinweis darauf zu finden ist. Im Buch zur Ausstellung widmet der Literaturwissenschaftler Murray G. Hall ein Kapitel der Rezeptionsgeschichte sowie den (gescheiterten) Versuchen der Nachfahren, die Rechte am Text für sich zu beanspruchen.

Ein Fund im Nachlass ist aber jedenfalls Felix Salten zuzuschreiben: In einem dicken Konvolut ungeordneter Manuskriptblätter und Fragmente befanden sich verstreut acht handschriftliche Seiten, die sich zu einer vollständigen, bisher unbekannten pornographischen Novelle zusammenfügen ließen. Darin erzählt eine junge Prostituierte namens Albertine von ihrer sexuellen Initiation und Befreiung, die sie letztlich ins Bordell führte. Schauplatz ist neben anderen deutschen Städten besonders das Berlin der Roaring Twenties. Das für Saltens Arbeitsweise typische, schwierig zu entziffernde Bleistiftmanuskript dürfte um 1930 entstanden sein; im Begleitbuch wird die Novelle in einer kontextualisierten Lesefassung erstmals präsentiert. Gerhard Hubmann: „Saltens ‚Albertine‘ ist ein seltsam ambivalenter Text, der zwar die Selbstermächtigung einer jungen Frau schildert und der trotzdem als männliche Wunschphantasie erkennbar ist, wie sie für das Bürgertum des 19. Jahrhunderts typisch ist.“

NETZWERK – LITERATUR, THEATER, FILM, BILDENDE KUNST

Felix Saltens vielfältige Interessen spiegeln sich in seinen Texten zu Theater, Kino und Literatur wider und machen ihn zum wichtigen Auskunftsgeber über das kulturelle Leben Wiens. In der Ausstellung wird außerdem Saltens bisher kaum gewürdigte Rolle als Kunstkritiker im Umfeld Gustav Klimts mit bisher unveröffentlichten Dokumenten visualisiert und in den Zeitläuften kontextualisiert.

Bereits früh begeisterte sich Salten für das Medium Film und veröffentliche in den 1920er Jahren regelmäßig Filmbesprechungen. Aus seinem Verständnis für das Kino und dessen kultureller Bedeutung in der Moderne sowie seiner grundlegenden Beschäftigung mit dem Medium Film und dessen dramaturgischem Potential entstanden seit 1913 außerdem Drehbücher. Er führte zumindest einmal selbst Regie, lieferte Ideen und literarische Vorlagen, darunter für die – nicht erhaltene – Verfilmung von Saltens Erzählung „Olga Frohgemuth“ (1922), in der die Konfrontation zweier sozialer Milieus im Zentrum steht.

Die nun im Nachlass vorliegenden Korrespondenzen mit anderen Protagonisten der Wiener Moderne wie Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler zeugen außerdem von einem umfangreichen Netzwerk und schaffen neue Verbindungslinien zu den bereits in der Wienbibliothek im Rathaus vorhandenen Beständen dieser Zeitgenossen. Die Protagonisten des Jung-Wien werden in der Ausstellung ebenso bedacht wie die frühe Freundschaft mit Karl Kraus, die sich allerdings alsbald zerschlug. Saltens Ansehen widerspiegelt sich auch in der Präsentation von Originalbeiträgen zu der Festschrift anlässlich seines 60. Geburtstages, die der Zsolnay-Verlag für ihn initiierte. Zu sehen sind hier u. a. die Glückwünsche von Sigmund Freud, John Galsworthy, Gerhart Hauptmann, Arno Holz, Heinrich und Thomas Mann und Franz Werfel.

Gezeigt werden auch Saltens vielfältige Beziehungen zum Theater: als Autor, Kritiker und Theatergründer wie als Bezugsperson für Schauspieler*innen und Theaterleute wie etwa Max Reinhardt.

FLUCHT UND EXIL

Als Chronist seiner Zeit dokumentierte Salten das tägliche Geschehen in Taschenkalendern – so sind die Einträge vor seiner Flucht in die Schweiz zum Jahr 1938/39 ein maßgeblicher Beitrag für das kulturelle Gedächtnis der Stadt.

Aus Angst vor der Gestapo hat Salten noch im Frühjahr 1938 viele Briefe, Schriftstücke und Manuskripte verbrannt, geblieben sind u. a. rund 7.000 Korrespondenzstücke von 700 Schreibern, die im Nachlass enthalten sind. Unter den über 2.300 Bänden seiner Bibliothek befinden sich unikale Arbeits- und Handexemplare, Belegsammlungen etwa seiner Tierbücher „Bambi“, „Florian“ und „Perri“ sowie 202 Widmungsexemplare – darunter Gedichtbände von Rainer Maria Rilke, die Erstausgabe von Franz Werfels „Verdi“-Roman oder eine Ausgabe von Gustav Mahlers Briefen, die die Herausgeberin Alma Maria Mahler dem Widmungsempfänger zu Weihnachten 1924 schenkte. Vor seiner Flucht dürfte die Bibliothek aber sehr viel mehr dedizierte Bände enthalten haben.

„Doch dies waren nicht die einzigen Verluste, die er hinnehmen musste“, betont Marcel Atze. „So manch liebgewonnenes Gut wurde ihm NS-verfolgungsbedingt entzogen. Laut Auskunft seines Taschenkalenders gingen 1938 rund 400 alte Drucke und eine Kopie des Gemäldes ‚Henrietta Maria von Frankreich‘ (Original von Anthonis van Dyck) an den späteren General der Luftwaffe Alexander Löhr, der 1947 hingerichtet wurde.“

Saltens Flucht 1939 wurde von prominenten Zeitgenossen unterstützt: Gerüchte wie dieses, dass er im Konzentrationslager wäre, rief Künstler*innen wie Erika und Thomas Mann auf den Plan. Sie setzten sich für eine finanzielle Unterstützung ein, damit Salten mit seiner Frau in die Schweiz einreisen durfte, wo seine Tochter bereits als Schweizer Staatsbürgerin lebte. Als Journalist hatte Salten in der Schweiz Berufsverbot, doch er konnte weiter belletristisch arbeiten. Dennoch waren seine letzten Lebensjahre von finanziellen Schwierigkeiten geprägt, auch weil er auf internationale Buchtantiemen nach dem Kriegseintritt der USA keinen Zugriff mehr hatte. Felix Salten starb am 8. Oktober 1945 in Zürich, wo er auch beigesetzt wurde.

AUSSTELLUNG IM SCHATTEN VON BAMBI. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne
15. Oktober 2020 bis 25. April 2021 ** Verlängert bis 19. September 2021 **

Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett
1., Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6, Glaslift, 1. Stock
Montag bis Freitag, 9 bis 17 Uhr – Geschlossen: SA, SO, 24. und 31.12.2020
Eintritt frei!

Wien Museum MUSA
1., Felderstraße 6–8
DI bis SO und Feiertag, 10 bis 18 Uhr
24. und 31.12.2020: 10 bis 14 Uhr
Geschlossen: 25.12.2020 und 1.1.2021
Eintritt: Vollpreis: 7 Euro, Ermäßigt: 5 Euro

Kuratiert von: Ursula Storch, Marcel Atze
Ausstellungsarchitektur: Christian Sturminger
Ausstellungsgrafik: Olaf Osten

Ein Ausstellungsprojekt in Kooperation von Wienbibliothek im Rathaus und Wien Museum

Links

Bildmaterial zu Felix Salten finden Sie hier

Presseinformation zur Ausstellung Felix Salten (PDF)

Presseinformation: Felix Salten zurück in Wien (PDF)

 

Pressekontakt und Bildmaterial-Anfragen:

vielseitig ||| Mag.a Valerie Besl
t: +43 1 522 4459 10, m: +43 664 8339266, valerie.besl@vielseitig.co.at

Wienbibliothek-Direktorin Anita Eichinger und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler vor der rund 2300 Bände umfassenden Nachlassbibliothek von Felix Salten in der Wienbibliothek im Rathaus. © Wienbibliothek im Rathaus