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Objekt des Monats Jänner 2017: Melancholie im September - die Bambis

Die Bambis. Bilder aus einem Foto-Album im Besitz der Wienbibliothek.

"Wir waren eigentlich die erste Boy Group. Vier gutaussehende Typen, vier großartige Musiker und vier Freunde." So sieht Sänger Mandy alias Georg Oswald seine Band, die Tanz- und Beat-Combo "Original Bambis", die von 1959 bis 1967 existierte und in der er sein spezifisches Falsett-Timbre zur Geltung brachte. Der Name des Ensembles wurde entsprechend dem damals hippen Poptrend hin zum Tier modelliert – es gab ja berühmte Vokalgruppen wie die Flamingos oder die Penguins. Die Bambis, bei denen sich zwei Bayern aus Rosenheim und zwei Wiener zusammenfanden, waren das, was man früher Kommerzband nannte: Ein Ensemble, das in Saisonhotels und Edeldiskotheken zum Tanz aufspielte, bald auch in den von ihnen selbst betriebenen "Tenne"-Lokalen in Wien und Kärnten und das, wenn es die Stimmung gerade erforderte, die Geschmackslatte auch einmal tiefer hängte.

Klassischer Beat war das, was die Bambis produzierten, allerdings nie. Sie adressierten ihre Klänge und Botschaften an ein Publikum, das tanzen wollte und Unterhaltung suchte. Deshalb schufen sie auf Platte zahlreiche Nonsense- und Juxlieder mit Kultcharakter, die, etwa im Song "Mini Kini Baby" gerne auch auf Modetorheiten der Saison wie den vom Designer Rudi Gernreich entworfenen Monokini anspielten.

Melancholie im September

Doch im Jahr 1964 knackten die Bambis den Jackpot und schufen einen Schlager, der ihnen ein Alleinstellungsmerkmal im Rahmen der österreichischen Popszene verschaffte: Melancholie, geschrieben vom langjährigen Bambis-Gitarristen und Hauskomponisten Konrad "Conny" Fuchsberger und an den Ufern des Wörthersees im ORF-Landesstudio Klagenfurt aufgenommen. Das Lied, das sentimental in Moll eine verwehte Urlaubsliebe betrauert, - "Melancholie im September, das ist alles, was mir blieb von dir" - um dann mit dem Mut der Verzweiflung im Refrain mit imitierten Mandolinen nach Dur zu wechseln - "Arrivederci war dein letztes Wort, Arrivederci und dann gingst du fort" - schlug sofort ein: "Jemand sagte: Jetzt, wo die Beatles Nummer 1 sind, schreibt ihr so eine Schasmusik zusammen", erzählt der mittlerweile schlohweiße Mandy im Interview. "Ich anwortete: Es wird immer Leute geben, die romantische Musik wollen. Und wir haben die Beatles runtergeholt von der Nummer 1. Die waren mit 'A hard day's night' an der Spitze der Hitparade. Und dann kam 'Melancholie'."

Die Single schoss erst in den österreichischen Charts empor und dehnte sich dann wie ein Flächenbrand in Europa und dem Rest der Welt aus. Da es keine historisch-kritische "Melancholie"-Forschung gibt, ist man bei der Bewertung des Erfolges auf Internet-Einträge und verstreute Meldungen angewiesen. Trotzdem dürfte es als gesichert gelten, dass im Lauf der Jahre mehr als 100 Coverversionen entstanden sind. Eine Webseite behauptet, dass "Melancholie" in 82 Sprachen übersetzt worden sei, darunter Norwegisch, Schwedisch und sogar Chinesisch.

bittersüße Pille

"Melancholie" ist ein Lied wie eine bittersüße Pille, das einerseits die Erinnerung an den existentiellen Ausnahmezustand des Urlaubs glorifiziert und andererseits die Rückkehr in den grauen Alltag einmoderiert. Doch seine Wirkung reicht weit über einen konventionellen Schlager hinaus: Mandys Stimme im Falsett mit falschem italienischen Akzent siedelt sich irgendwo zwischen Mann und Frau an – so wird "Melancholie" zur Transgender-Elegie, zum Kastratengesang, der die Schlagerklischees vom Liebesleid in eine universale Klage über den Zustand der Welt und das Elend des Allzumenschlichen verwandelt. Unter dem dünnen Firnis konventioneller emotionaler Turbulenzen manifestieren sich in den Fugen und Ritzen der Komposition Grundfragen nach dem Wesen der Existenz und nach dem Abgrund des Seins. Man darf dabei genauso an Angelo Badalamenti und Twin Peaks denken wie an Gigliola Cinquetti und die italienische Riviera.

Doch es gab noch eine andere Seite der Bambis, eine exotische Dimension, die ihnen ein Nachleben in den Hipster-Zirkeln der Gegenwart sichert: Ihre Version des berühmten "Tabu"-Themas von Ernesto Lecuona mit dem Titel "Inka City" reiht sich problemlos neben Martin Denny und Arthur Lyman in den Kanon der außergewöhnlichen Kuriositäten aus der Popgeschichte ein und weckt bis heute das Interesse von Leuten, die an Phänomenen wie der "Incredibly Strange Music" interessiert sind. So war es möglich, dass erst vor wenigen Jahren ein großes Feature über Mandy und die Bambis in der Underground-Zeitschrift "Skug" erschien, die normalerweise härtere Währung bevorzugt. "Für ältere Plattensammler galten die Bambis immer als Kommerzdreck," erzählt Al "Bird" Sputnik, der "Inka City" auf seiner Kompilation "Schnitzelbeat" veröffentlicht hat. "Die interessierten sich nur für harte Underground-Bands wie die Slaves mit Charly Ratzer oder Novak's Kapelle. Wenn man mit Singles der Bambis bei Plattenbörsen auftauchte, konnte man die Kollegen prima provozieren." Bei der Beurteilung der Gruppe gebe es eine Sicht vor Punk und eine Sicht nach Punk: "Die Sicht nach Punk ist deutlich wohlwollender. Da hat man endlich erkannt, dass die Bambis einen individuellen Stil geschaffen hatten, an dem sich alle späteren Bands abarbeiten mußten."

Im Kanon der österreichischen Popmusik

Inzwischen ist der Platz der Bambis im Kanon der Austro-Popmusik längst abgesichert: Eine Handvoll Platten, von "Gina" bis "Nur ein Bild von dir" genügte, um ihren Status zu befestigen. Ein Revival wird es nicht mehr geben: Zwei der Original-Mitglieder sind bereits verstorben. Nur Mandy tourt auch heute noch unermüdlich durch Wiener Stadtrandlokale, wo er einer Klientel jenseits der 70 ihre Jugend zurückgibt. Und er weiß, was er an seiner Alterskohorte hat: "In der Krise des Plattengeschäftes sind die Schlagersänger die Gewinner. Denn die Älteren wissen nicht, wie man downloadet, die kaufen lieber CDs. Aber die Jungen, die laden alles herunter. Da hast keine Chance mehr."

von Thomas Miessgang

Die Bambis 1968 bei der Eröffnung der "Tenne" mit Peter Kraus (Mitte).
Die Bambis bei einem Maskenball.
Bilderserie über die Bambis für die Zeitschrift "Bravo".
Erster Auftritt im Wiener Hotel Intercontinental zu Silvester 1966.