
Die Tagebücher Julius Tandlers: Ein Schlüsseldokument der späten Zwischenkriegszeit
Forschungsprojekt

- Dauer: 1. Oktober 2024 bis 30.September 2025
- Projekttitel: Die Tagebücher Julius Tandlers: Ein Schlüsseldokument der späten Zwischenkriegszeit
- Projektleitung: Birgit Nemec, Historikerin, Co-Leitung des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Charité Berlin, Professur für Geschichte der Medizin und Katrin Pilz, Historikerin und Kulturwissenschaftlerin, Université libre de Bruxelles und Universität Wien, assoziiert Ludwig Boltzmann Institute for Digital History
- Kooperationspartner*innen: Wienbibliothek im Rathaus
- Fördergeber*innen: Stadt Wien MA 7
Julius Tandler gilt heute in seiner Doppelfunktion als Anatom, Politiker und Eugeniker als einer der zentralen Akteure der österreichischen Zwischenkriegszeit und insbesondere des Roten Wien bekannt. In der aktuellen Forschung sind Tandlers universitäre und politische Aktivitäten sowie seine öffentlichen Äußerungen und grundlegenden Interventionen in der Gesundheits-, Fürsorge-, Städtebau-, Wissenschaft- und Volksbildungspolitik bekannt. In bisherigen biographischen Arbeiten wurde Julius Tandler vor allem auf Basis seines Nachlassmaterials in seiner wissenschaftlichen und politischen Außenwirkung analysiert und als Architekt einer sozialpolitischen Konzeption, zum Teil auch einer entsprechenden Utopie, analysiert, die weit über die Grenzen Wiens hinaus wirkte (Sablik 1985; Schwarz 2017).
„Am Abend des 15. August gingen wir um 9:30 Uhr in ein Kino.“ So beginnt ein Brief, den Tandlers Nichte Lorle am 30. August 1936 an Julius‘ Witwe Olga schrieb und in dem sie den Hergang und die Umstände seines Todes schildert. Es ist nicht verwunderlich, dass sowohl Lorle als auch Olga in der Geschichtsschreibung der Tandler-Forschung nur am Rande bzw. im Fall von Lorle gar nicht vorkommen. Bemerkenswert ist jedoch, wie sehr diese beiden Frauen für den Nachlass und die Dokumentation wesentlicher Quellen auch jenseits der offensichtlichen politischen und wissenschaftlichen Tätigkeit Julius Tandlers für sein Leben und Werk, vor allem in seinen letzten Jahren im Exil, verantwortlich waren.
Diese Spätphase in der Biographie Julius Tandlers ist bisher wenig bekannt. Ab den späten 1920er Jahren zog er sich vor dem Hintergrund politischer Spannungen und antisemitischer Gewalt zunehmend zurück, reiste und orientierte sich auch intellektuell international. Ein in der Forschung bisher unbekanntes Schlüsseldokument in diesem Zusammenhang sind Tandlers persönliche Aufzeichnungen aus dieser Zeit: fünf Tagebücher, beigelegten Briefen und Fotos, die er von 1929, dem Beginn seiner internationalen Orientierung und vermehrten Reisetätigkeit, bis 1934 und seiner letzten Station vor seinem Tod im Exil in Moskau/Russland 1936 verfasste.
Diese Tagebücher sind eine wertvolle Quelle und ein unglaublicher Fund, wenn man bedenkt, dass Tandlers Lebenslauf zwar größtenteils gut erforscht ist, aber die letzten Jahre, spätestens seit der austrofaschistischen Machtübernahme, und seine Auslands- und Exilaufenthalte historisch nur lückenhaft dokumentiert und rekonstruiert sind. Die Tagebucheinträge, die bisher nur Julius Tandlers Enkel Bill Tandler als Nachlassverwalter bekannt waren, eröffnen neue Perspektiven für eine kritische historische Rekonstruktion dieser Phase.
Kontakt
Wienbibliothek im Rathaus
Forschung und Partizipation, Wien Geschichte Wiki
Mag.a Dr.in Dr.in Katharina Prager (Leitung)
katharina.prager@wienbibliothek.at
Ludwig Boltzmann Institute for Digital History
Katrin Pilz
katrin.pilz@history.lbg.ac.at