Zur Schlusssteinlegung des Rathausbaus 1883 durch den Kaiser war der Festsaal noch unfertig: Für die Zeremonie wurde ein Teppich auf dem Bretterboden ausgerollt – Parkett, Ausschmückung und Möblierung des Festsaals und seiner Nebenräume fehlten noch. Diese Arbeiten waren erst 1889 abgeschlossen. Der Gemeinderat beschloss daraufhin, den Festsaal ausschließlich für Gemeindezwecke und nicht für private Veranstaltungen zu nutzen. Zudem wurde die Abhaltung eines Balles angekündigt, dessen Reinertrag „den Armen der Stadt Wien“ zugutekommen sollte.
Repräsentation, Konversation und Tanz
3.000 festlich gekleidete Gäste – Männer in Frack oder Uniform, Frauen im Abendkleid – besuchten den ersten Ball der Stadt Wien am 12. Februar 1890. Vertreten waren Mitglieder des Bürgertums – 1890 eine kleine gesellschaftliche Gruppe – und des Adels: Personen aus Wirtschaft, Industrie, Finanzwesen, Kultur und Politik; außerdem das diplomatische Korps, geistliche Würdenträger und Angehörige des Militärs.
Über die Feststiegen betraten sie ab 21 Uhr den Ballsaal. An der Fensterseite befand sich die Estrade – ein Podium für die Ehrengäste –, in den Orchesternischen an den Enden des Saales waren zwei Musikkapellen positioniert, die abwechselnd spielten: jene des Hofball-Musikdirektors Eduard Strauss und die Deutschmeister-Kapelle unter Carl Michael Ziehrer. Frauen erhielten als Ballspende eine Tanzordnung und eine Miniatur des Rathausmannes. Um 21.30 Uhr intonierte die Strauss-Kapelle die Polonaise. Die 20 Tänzerinnen der Eröffnung trugen dafür rot-weiße Blumenbouquets – in den Farben der Stadt Wien.
Kurz nach 22 Uhr empfing Bürgermeister Johann Prix Mitglieder des kaiserlichen Hofs, die er zu den Klängen der Volkshymne durch ein Spalier auf die Estrade geleitete, wo sie Cercle hielten – also mit den Ehrengästen Konversation führten. Anschließend führten Prix und das Herrenkomitee sie auf die Galerie und die Nebensäle des Festsaals. Kurz nach Mitternacht verließen die höchsten Ehrengäste – und mit ihnen weitere Besucher*innen – den Ball, der sich nun endgültig von einer Konversations- in eine Tanzveranstaltung wandelte. Zuvor hatte der Platz auf der Tanzfläche nämlich für die vielen Gäste nicht ausgereicht.
Es gab auch weitere räumliche Herausforderungen: Die engen Stiegen zur Galerie wurden wegen der langen Schleppen zur Stolperfalle, das Buffet wurde als abgeschieden wahrgenommen, und die schwer erreichbare Küche machte eine durchgehende Versorgung mit warmen Speisen unmöglich – weshalb manche Gäste hungrig blieben. Dass in den Folgejahren zusätzliche Räume für den Ball genutzt wurden, zeigt die Bemühungen, diese Situation zu verbessern.