Am Donnerstag, 25. April ist die Benützung unserer Bestände nur bis 16 Uhr möglich. Leseplätze sind bis 19 Uhr verfügbar.

Eingeschränkte Benützung von Druckwerken
Seit 2. April 2024 steht ein Teil unserer Bestände für zwei Monate nicht zur Verfügung. Die betroffenen Druckwerke tragen im Katalog die Info "Außendepot – wegen Übersiedlung derzeit nicht bestellbar". Wir bitten um Ihr Verständnis!

Sie sind in:

Sie sind hier

Objekt des Monats Juli 2014: Theaterspielen als Seelenbalsam

Darsteller aus dem Singspiel „Leutnant Franzl“ von Ludwig Gruber. Wienbibliothek, Musiksammlung, Beilage zu MH-12110

Weit weniger glanzvoll als Conchita Wurst bei ihrem Sieg im Song Contest präsentierte sich ein knappes Jahrhundert zuvor der Mann rechts im Bild in Frauenkleidern auf der Bühne. Die Szene stammt aus dem Singspiel "Leutnant Franzl", das 1916 im Kriegsgefangenenlager Pestschanka I bei Tschita in Sibirien aufgeführt wurde. Dort hatte der in russische Gefangenschaft geratene Ludwig Gruber, Komponist der berühmten Wienerlieder "Mei Muatterl war a Wienerin" und "'s wird schöne Maderln geb’n" ("Es wird a Wein sein"), ein Soldatentheater ins Leben gerufen, für das er mehrere Bühnenwerke komponierte.

Generell wurden in Pestschanka Werke eskapistischen Inhalts aufgeführt, deren Aufgabe nicht mehr und nicht weniger war, als die Lagerinsassen von der Mühsal und Eintönigkeit des Alltags abzulenken. Auch die weiblichen Partien in den Bühnenwerken wurden von kriegsgefangenen Soldaten, meist jungen Burschen mit glatten Gesichtern, dargestellt. Es gilt heute als gesichert, dass derartige Aktivitäten den Internierten über den sexuellen Notstand hinweghalfen. Aus heutiger Sicht mutet es jedenfalls erstaunlich an, welche Möglichkeiten man den Gefangenen einräumte.
Infolge des Friedens von Brest-Litowsk, der den Austritt Russlands aus dem Krieg besiegelte, verließ Gruber, vermutlich im Mai oder Juni 1918, das Lager in Pestschanka und kam mit einem Invalidentransport bis kurz vor Omsk. Dort gelangte er jedoch zwischen die Fronten des Bürgerkriegs, in dem Weißgardisten und europäische Interventionstruppen das bolschewistische Regime bekämpften. Er kam in ein Lager in Tomsk, wo er erneut ein Mannschaftstheater gründete. Ein Gleiches tat er, als er im Frühjahr 1919 nach Barnaul verlegt wurde, die Hauptstadt der Region Altai. Anfang Juni 1920 wurde Gruber endlich zwecks Rückführung in die Heimat mit einem Invalidentransport nach Petrograd (heute: St. Petersburg) gebracht. Nach einmonatigem Aufenthalt reihte man ihn in einen Heimkehrerzug Richtung Estland ein. Von Narva gelangte er per Schiff nach Swinemünde und weiter mit der Bahn nach Wien. Am 29. Juli 1920 angekommen musste er erfahren, dass sein Sohn an der italienischen Front gefallen und auch sein Vater kurz nach Kriegsende verstorben war.

Vor fünfzig Jahren, am 21. Juli 1964, starb Gruber 90-jährig in Wien. Als er bei Kriegsausbruch 1914 zu den Waffen gerufen wurde, war er bereits kein junger Mann mehr. Nach einer nur kurzen militärischen Unterweisung wurde er an den östlichen Abschnitt der Karpatenfront geschickt und bereits Ende November desselben Jahres bei den Kämpfen um den Uschoker Pass vom russischen Kriegsgegner gefangen genommen.
Wie die meisten deutschsprachigen Österreicher wurde Gruber nicht im europäischen Teil des Landes, sondern in Sibirien interniert. Dort gelang es ihm und einigen gleichgesinnten Mitgefangenen, ein Lagertheater aufzubauen, das mit Musiktheaterproduktionen beachtlicher Qualität in Erscheinung trat. Neben der Kälte und dem Hunger war es vor allem die Langeweile, die den Kriegsgefangenen zu schaffen machte. Gruber versuchte dieser zu begegnen, indem er zunächst seine Kameraden abends mit der Lesung selbstverfasster Gedichte und Erzählungen zu erfreuen pflegte.

Aber schon bald verlagerte sich der Schwerpunkt des "Kulturlebens" auf die Musik: "Mit dem Federmesser wurde eine Geige und eine Guitarre geschnitzt, bald konnte mit dieser grandiosen Besetzung das erste Konzert stattfinden", erinnerte sich Gruber später. Aufgeführt wurden die Kompositionen in einer Art Kaffeehausgarten, wo sich nicht nur die österreichischen Lagerinsassen an den musikalischen Soireen erfreuten. "Ich bekam Verbindung mit höheren russischen Offizieren", so Gruber weiter, "erteilte in ihren Häusern Unterricht und somit erhielt ich auch die Bewilligung, aus einer Baracke ein Lagertheater bauen zu dürfen. Ein Orchester wurde gegründet. Musikalische Werke und bekannte Operetten arrangiert". Nicht zu vergessen sind dabei natürlich Grubers eigene kompositorische Beiträge.

Weitere Informationen

Archiv der Objekte des Monats 2014

Hans Edlmoser: Lagertheater in Pestschanka mit Dekoration zur Operette "Der Kleeblattschuss" von Ludwig Gruber. Wienbibliothek, Handschriftensammlung, Nachlass Ludwig Gruber