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Objekt des Monats Oktober 2011: Zum 200. Geburtstag von Franz Liszt

Prüfungsthema von Liszt bei Bruckner, Abschlussarbeit im Fach Kontrapunkt am k. k. Conservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. Eigenhändige Niederschrift, 23. Juni 1871. Nachlass Carl Kratzl, ZPM 573

Der Komponist und Kapellmeister Carl Kratzl (1852–1904), bekannt vor allem durch sein Lied Das Glück is a Vogerl, erhielt seine musikalische Ausbildung am k. k. Conservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, wo er u. a. Schüler Anton Bruckners war. Als Abschlussprüfung im Fach Kontrapunkt stellte Bruckner Kratzl die Aufgabe, eine dreistimmige Fuge über ein Thema aus der Graner Festmesse von Franz Liszt zu schreiben, dessen Geburtstag sich am 22. Oktober 2011 zum 200. Mal jährt.

Bruckners Verhältnis zu Liszt war zwiespältig. Mit dem in dessen symphonischen Dichtungen vertretenen Konzept der Programmmusik konnte er offensichtlich nicht viel anfangen, doch dürfte sein Verständnis etwa für die geistlichen Werke Liszts deutlich höher gewesen sein. In der ersten Hälfte des Jahres 1871 erschien eine Neuausgabe der Graner Festmesse, und es ist durchaus möglich, dass Bruckner zum Zeitpunkt der Aufgabenstellung an Kratzl bereits ein Exemplar dieses Drucks vorlag. Dessen Erwerb könnte Bruckner den Anstoß gegeben haben, für die Prüfung Kratzls ein Thema aus diesem Werk zu wählen.

Die Prüfungsarbeit trägt in der rechten oberen Ecke des Blatts die eigenhändige Datierung „Vollendet den 23. Juni 1871 um ½ 1 Uhr Nachts“. Eine zweite Datierung am unteren Seitenrand, „Reingeschrieben den 25 May 1872.“, lässt vorerst Zweifel aufkommen, ob es sich bei dem Manuskript um das bei Bruckner eingereichte Original handelt. Für die Echtheit spricht jedoch der Umstand, dass der Notentext vor allem in den ersten Takten mit substanziellen Korrekturen versehen ist, das Manuskript also schon allein aus diesem Tatbestand heraus keineswegs Reinschriftcharakter aufweist. Dazu kommt noch, dass Kratzl gegen Ende der Komposition offenbar der Platz auf dem Notenpapier ausgegangen ist und er sich zu einer sehr gedrängten Schreibweise, ja sogar einer händischen Verlängerung der Notenlinien gezwungen sah, nur um schließlich für den letzten Takt doch noch ein neues System beginnen zu müssen. Insbesondere der bis an den rechten Blattrand heranreichende vorletzte Takt der Komposition ist recht unleserlich ausgefallen, was Kratzl bewogen haben mag, diesen und den Schlusstakt unterhalb des vorgedruckten Linienspiegels in einem handgezogenen System von Notenlinien nochmals sauber zu notieren. Genau auf diese beiden Takte – und nicht auf das ganze Manuskript – dürfte sich der unmittelbar daneben platzierte zweite Datierungsvermerk beziehen.

Warum sich Kratzl das Blatt fast ein Jahr nach seiner Prüfung nochmals vorgenommen hat, ist nicht klar; vielleicht rief ihm die bevorstehende Aufführung der f-Moll-Messe Bruckners (16. Juni 1872) seinen ehemaligen Lehrer ins Gedächtnis. Jedenfalls zeugt die erneute Beschäftigung mit dem Manuskript, die noch dazu penibel dokumentiert wurde, von der hohen Wertschätzung, die der junge Musiker seiner Ausbildung bei Bruckner und vielleicht auch seiner Prüfungsarbeit selbst entgegengebracht hat.

Archiv der Objekte des Monats 2011